Verpflichtungen gegenüber Fremden

Ein Teil der Argumentation zugunsten offener Grenzen ist, dass das absolute Minimum unserer Verpflichtungen Fremden gegenüber darin liegt, sie in Ruhe zu lassen. Einwanderungsbeschränkungen verletzten durch das Aberkennen der Freizügigkeit von Fremden diese grundlegende Verpflichtung.

Es wäre nachvollziehbar, dass Individuen keine positiven Verpflichtungen gegenüber der Wohlfahrt von Menschen anderer Herkunft haben. Demnach haben möglicherweise Immigranten (oder gegebenenfalls sogar Einheimische) kein Recht auf unsere Wohltätigkeit. Dennoch ist das Verhindern von Immigration eine aktive Schädigung statt lediglich einer unterlassenen Wohltätigkeit. Ähnlich ist auch die Töten oder sterben lassen-Unterscheidung.

Hypothetische Beispiele

–      Starving Marvin“ ist eine hypothetische Figur von Michael Huemer, die eine Ähnlichkeit von Einwanderungsbeschränkungen und dem gewalttätigen Abhalten einer hungrigen Person vom Betreten eines Supermarktes im Vergleich zur Verweigerung von Wohltätigkeit zeigt.

 –       Ein Auszug aus einem Blogbeitrag Bryan Caplans: What We Owe Immigrants

Stellen wir uns zwei Männer vor, Sebastian und Sergej, die zu einem Bewerbungsgespräch gehen. Sergej sagt zu Sebastian: „Ich brauche diesen Job dringender als du. Bitte mach einen Rückzieher, damit ich ihn bekomme.“ Es wäre vollkommen nachvollziehbar, wenn Sebastian antworten würde: „Nein, du bist ein Fremder und ich schulde dir nichts.“

Aber man stelle sich stattdessen vor, dass Sergej von Sebastian an einen Baum gebunden wird, um ihn vom Bewerbungsgespräch abzuhalten. Sergej sagt: „Lass mich gehen. Ich verdiene eine Chance auf diesen Job.“ An diesem Punkt wäre es lächerlich von Sebastian zu antworten: „Nein, du bist ein Fremder und ich schulde dir nichts.“ Sergej verlangt keine Hilfe; er verlangt nur, von Sebastian in Ruhe gelassen zu werden. Und wenn Sebastian erwidert: „Du lässt mich nicht in Ruhe. Das war mein Job, und du versuchst ihn mir zu stehlen!“ wäre zu antworten: „Der Job gehört dir nicht. Es liegt am Firmenchef zu entscheiden, wenn er einstellt.“

All dies wäre jedem aufrechten 10-Jährigen klar. Man hat keine Verpflichtung seine Spielzeuge einem weniger glücklichen Kind zu geben, doch es ist definitiv nicht legitim, einem weniger glücklichen Kind die Spielzeuge zu stehlen.

Wenn das Opfer jedoch in einem anderen Land geboren wurde, haben die meisten Erwachsenen unglücklicherweise nicht das moralische Gespür eines 10-Jährigen. Wenn man Fremden nicht helfen möchte ist das in Ordnung. Doch es ist zumindest geboten ihnen zuzugestehen, ihre Arbeitskraft frei anzubieten, Wohnungen von gewillten Eigentümern zu mieten und Güter von willigen Händlern zu kaufen.

 –          In einem anderen Blogpost, The Stranger, schreibt Caplan:

Wozu ist man gegenüber einem Fremden moralisch verpflichtet? Nicht viel. Selbst wenn er hungrig ist und um Essen bittet, ist man wahrscheinlich dazu berechtigt, dies zu verweigern. Wenn man jemals in einer großen Stadt war, hat man sicherlich mehr als einmal einem Obdachlosen Hilfe verwehrt. Und selbst wenn man der Meinung ist, eine moralische Verpflichtung zum Geben gebrochen zu haben, war diese moralische Verpflichtung nicht stark genug, sich vom Bettler berechtigterweise ausrauben zu lassen. […]

Es wäre schlimm genug, wenn moderne Regierungen sich darauf konzentrieren würden, reiche Fremde zur Unterstützung armer Fremder zu zwingen. Doch es ist abscheulich, wenn die Richtung des Zwangs umgekehrt wird. Das ungeheuerlichste Beispiel ist offensichtlich die Einschränkung von Einwanderung. Menschen aus der Dritten Welt sind Fremde, doch wir haben dennoch die moralische Verpflichtung, sie in Ruhe zu lassen. Stattdessen werden drakonische Gesetze erlassen, die diesen Fremden verbieten für andere komplett Fremde zu arbeiten. Und wofür? Um die wunderliche Verpflichtung zu erfüllen, die Gehälter von Mitbürgern zu schützen, denen wir noch nicht einmal unsere Kinder als Mitfahrer anvertrauen würden.

[Übersetzung des englischen Originals durch Achim Fischbach: Obligations to strangers, ursprünglich erschienen auf openborders.info.]

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