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Belasten bulgarische und rumänische Einwanderer die Staatshaushalte?

Mit dieser im Titel gestellten Frage beschäftigt sich der schwedische Wissenschaftler Joakim Ruist in einem Artikel, der auf dem Ökonomenblog VoxEU erschienen ist: The fiscal consequences of unrestricted immigration from Romania and Bulgaria.

In Deutschland hob die Diskussion über die vollständige Öffnung der Grenzen mit Bulgarien und Rumänien so richtig erst im letzten Jahr an, um sich zu Beginn des laufenden Jahres dann zu einer allgemeinen Debatte über “Armutszuwanderung” und deren Konsequenzen auszuweiten. Das ist eigentlich eher ein Artefakt einer kurzfristig orientierten Öffentlichkeit und Politik. Daß die Grenzen geöffnet würden, stand nämlich seit 2007 fest, als Bulgarien und Rumänien der Europäischen Union beitraten. In dem Fall stellt es die EU den einzelnen Staaten frei, für eine Übergangsphase von sieben Jahren die Grenzen noch mehr oder minder dicht zu halten. Die EU stellt das, wohlgemerkt, nur frei, verlangt es aber keineswegs. Und der deutsche Staat nahm diese Möglichkeit, ähnlich wie auch schon bei den vorherigen Beitrittsländern wie Polen, auch in der maximalen Dauer wahr.

Aber andere Länder taten dies nicht. So öffneten Schweden oder Finnland ihre Grenzen bereits mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Großbritannien und Irland beließen es bei nur geringen Beschränkungen. Das bedeutet, daß das, worüber deutsche Politiker und Öffentlichkeit zur Jahreswende plötzlich angstvoll aufschreckten, in diesen Ländern schon längst und seit langem Realität ist. Man könnte von daher meinen, daß gerade diejenigen, die große Probleme erwarten, nun auf die verhehrenden Auswirkungen für die überschnellen Länder hinweisen würden. Es gibt nur einen kleinen Haken: Dort gibt es nicht nur nichts zu sehen, die betreffenden Staaten haben sich sogar in ihren Haushalten etwas Gutes mit der Öffnung der Grenzen getan, wie Ruist anhand von eigenen Untersuchungen und denen anderer Wissenschaftler aufzeigt.

Dabei ist es nützlich, daß mit Schweden ein ausgeprägter Wohlfahrtsstaat und mit Großbritannien ein eher weniger stark ausgeprägter Wohlfahrtsstaat vorangingen, die somit die Bandbreite der europäischen Wohlfahrtsstaaten repräsentieren können. Die Ergebnisse sind allerdings weitgehend unabhängig davon, wie ausgeprägt der Wohlfahrtsstaat in den betreffenden Ländern ist: sowohl der britische als auch der schwedische Staat konnten einen Überschuß von Einnahmen gegenüber Ausgaben für die Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien verzeichnen.

Das mag den verwundern, der die Vorstellung von Einwanderern im Kopf hat, die hauptsächlich die Sozialleistungen mitnehmen wollen. Wenn man in Bulgarien oder Rumänien um Klassen weniger verdient, dann müßten doch eigentlich die relativ üppigen Leistungen des schwedischen Staates wie das Schlaraffenland wirken. Der Denkfehler hierbei ist, daß die Möglichkeiten, mit seiner Arbeit noch viel mehr zu verdienen, noch attraktiver sind. Zudem sind die Sozialsysteme in den verschiedenen Ländern auch so strukturiert, daß sie vor allem eine Umverteilung, nicht wie annonciert, von den Reichen zu den Armen, sondern von den Jungen zu den Alten (und zumeist relativ Reichen) bewerkstelligen. Da Einwanderer in der Regel eher jünger sind, zahlen sie erst einmal netto in die Systeme ein. Der Zusammenhang ist dabei recht allgemein, wie ich in meiner Besprechung einer Studie der OECD aufgezeigt habe, siehe: Einwanderung in die Sozialsysteme?

Eigentlich hätte man auch in Deutschland auf eine derart naheliegende Idee kommen können, sich einfach mal die Länder anzuschauen, die ihre Grenzen schon lange aufgemacht haben. Aber dann hätte man natürlich die Dramatik abschreiben müssen, die die Angst vor Einwanderern verhieß. Apriori ist es ja wirklich nicht klar, was unter offenen Grenzen mit einem Wohlfahrtsstaat passiert. Daß allein die Leistungen schon die Einwanderer anlocken, ist immerhin denkbar. Aber vom grünen Tisch kann man die Frage eben nicht entscheiden. Hierzu muß man sich auch einmal die Wirklichkeit anschauen.

Berlin hat Probleme – Einwanderung von Bulgaren und Rumänen ist keines davon

In einem Interview mit der WirtschaftsWoche spricht sich der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Pätzold über „Armutszuwanderung“ aus. Auf die Frage, wie gravierend das Problem für Berlin sei, wartet er mit folgender Zahl auf:

„In der Hauptstadt hat sich beispielsweise die Zahl der Rumänen und Bulgaren seit Ende 2010 auf 30.000 verdoppelt. Das stellt uns schon vor H[er]ausforderungen für die soziale Infrastruktur.“

Das ist natürlich geschickt formuliert, sodaß man die größtmögliche Zahl von 30.000 im Kopf behält. Was dort aber eigentlich nur steht: in drei Jahren ist die Zahl der Rumänen und Bulgaren um 15.000 gestiegen oder im Mittel um 5.000 pro Jahr. Die Stadt Berlin hatte eine Bevölkerung von 3,415 Millionen Einwohnern per 31. Oktober 2013, womit pro Jahr also im Mittel 0,146% Bulgaren und Rumänen hinzugekommen sind oder einer auf 683 Einwohner.

Um sich diese menschliche Flut zu veranschaulichen, kann man folgendes rechnen: Im Jahr 2013 hatte der Berliner Zoo 3,059 Millionen Besucher oder 8.381 im Mittel pro Tag. Nun kommen auf einmal zwölf im Jahr neu eingewanderte Bulgaren und Rumänen hinzu. Sie teilen sich die Arbeit auf, und an zwölf Stunden hintereinander umschwemmt mal der eine, mal der andere eine Stunde lang die Berliner Besucher.

Daß das natürlich Herausforderungen für die soziale Infrastruktur mit sich bringt, leuchtet wohl jedem ein. Es ziehen ja sonst nur brutto 160.000 und netto 40.000 Menschen im Jahr nach Berlin. Und falls sich jemand fragt: Das ist dasselbe Berlin, das vor nicht langer Zeit bemerkte, daß es seine Einwohnerzahl um 180.000 falsch eingeschätzt hatte. Aber die Erbse der Bulgaren und Rumänen fühlt man natürlich sehr akut.

Doch es kommt noch schlimmer, denn die Bulgaren und Rumänen, um die es ging, sind ja gar nicht mal unbedingt Menschen, die Sozialleistungen abgreifen. Die meisten zahlen wohl eher ein. Aber vergessen wir das ganz schnell. Hier ist die erschreckende Zahl, mit der Martin Pätzold aufwartet, weil jetzt unbedingt etwas unternommen werden muß:

„Ein Beispiel dafür in Berlin: Knapp die Hälfte der ALG-II-Bezieher, in der Öffentlichkeit als Aufstocker bekannt, mit Staatsangehörigkeit aus Bulgarien und Rumänien in der gesamten Bundesrepublik leben in der deutschen Hauptstadt. 1.093 von 2.339 zum Stand Oktober 2013.“

Auch wieder sehr schön formuliert, sodaß das Wort „Hälfte […] in der gesamten Bundesrepublik“ im Kopf bleibt. Nun reden wir schon über 1.093 Menschen, die in Berlin aufstocken. Das sind jetzt 0,032% der Einwohner oder einer auf 3.124. Bestimmt ist den Besuchern des Berliner Zoos sofort ins Auge gesprungen, daß sich unter ihnen zwei bis drei bulgarische und rumänische Aufstocker am Tag tummeln.

Was bekommt denn ein solcher Aufstocker? Die gesamten Aufwendungen für die “Grundsicherung für Arbeitsuchende” beliefen sich im Haushaltsjahr 2012 auf knapp 30,9 Milliarden Euro (vgl. Bundesagentur für Arbeit: Jahresbericht 2012, Seite 39). Aktuell gibt es leicht mehr als 6 Millionen Bezieher solcher Leistungen, womit sich überschlägig ein Betrag von 5.000 Euro im Jahr und pro Kopf ergibt. Da Aufstocker wohl in der Regel weniger als der Durchschnitt beziehen sollten, ist somit ein Betrag von 5.000 Euro eher eine Überschätzung. Das macht dann einen Betrag von höchstens 5 Millionen Euro. Vergessen wir dabei nebenbei, daß der Großteil der Leistungen gar nicht vom Land Berlin gezahlt wird und die arbeitstätigen Bulgaren und Rumänen in die Systeme einzahlen. Dann kann nun den Berlinern die horrende Rechnung präsentiert werden: Das sind unglaubliche 1,60 Euro im Jahr pro Kopf der Bevölkerung oder fast ein halber Cent am Tag!

Daß Berlin hier finanziell ins Trudeln kommt, ja unweigerlich kommen muß, ist nunmehr zur Genüge nachgewiesen. Und daran ist nicht, wie vielfach vermutet, etwa der Berliner Flughafen schuld, der mindestens 5 Milliarden oder 1000mal so viel verschlingt.

Es waren die Bulgaren und Rumänen!