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Die Kosten von geschlossenen Grenzen

Alex Tabarrok bei Marginal Revolution hat einen interessanten Hinweis zu einem Report des Migration Policy Institutes: “Immigration Enforcement in the United States: The Rise of a Formidable Machinery”. In diesem stellen die vier Autoren Doris Meissner, Donald M. Kerwin, Muzaffar Chishti, and Claire Bergeron zusammen, was die amerikanische Bundesregierung alles zur “Grenzsicherung” unternimmt. Mittlerweile gibt sie mehr dafür aus als für alle anderen polizeilichen Aktivitäten, nämlich 18 Milliarden Dollar pro Jahr gegenüber 14,4 Milliarden Dollar für FBI, Drug Enforcement Agency (DEA), Secret Service, US Marshals Service, and Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) zusammen.

Man darf da durchaus mal fragen, welchen Gewinn an Sicherheit die Amerikaner denn haben, weil man mexikanische Landarbeiter aus dem Land zu halten trachtet. Gibt es wirklich keine bessere Verwendung, um die Bevölkerung gezielt vor Schaden zu bewahren?

Beim gegenwärtigen Umrechnungskurs entspricht der Betrag übrigens gut 13 Milliarden Euro oder, um ein Gefühl für die Dimensionen zu bekommen, etwas mehr als dem Budget 2012 des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Was käme heraus, wenn man eine ähnliche Rechnung für Europa aufmachen würde? Wieviel Bürokratie hat denn allein die Diskussion über die “Einwanderung in die Sozialsysteme” losgetreten und wieviel meint man mit der Jagd nach fiktiven Betrügern und ein paar wirklichen dem Steuerzahler im Gegenzug ersparen zu können? Wenn man einen Strich drunter machen würde, könnte die Verschwendung von Steuergeldern ganz woanders liegen.

Es ist oft die Rede davon, welche Kosten offene oder wenigstens offenere Grenzen den Menschen in reichen Ländern einbringen könnten. Vergessen wird dabei, sich zu fragen, zu welchen Kosten geschlossene Grenzen nicht nur für Menschen aus armen Ländern, sondern auch für die Steuerzahler in reichen Ländern führen. Zu den Kosten wäre dabei noch zu zählen die Abscheu, mit seinem Beitrag ein derart verwerfliches System subventionieren zu müssen. Aber lieber Augen zu, Fenster auf und raus mit dem Geld!

Keine Pässe, keine Visa – welches Land macht denn sowas?

Ein kleines Ratespiel. Das Land, um das es geht, hat ein Gesetz erlassen. Der erste Paragraph des Gesetzes sichert jedem Bürger zu, daß er weder beim Verlassen noch bei der Wiedereinreise und natürlich erst recht nicht beim Reisen innerhalb des Landes ein Reisepapier braucht.

Da es andere Länder gibt, die ein Reisepapier verlangen, hat jeder mit geringen Auflagen ein Anrecht, ein Reisepapier ausgestellt zu bekommen, wofür aber höchstens ein mäßiger Betrag als Gebühr verlangt werden darf.

Doch es kommt noch verrückter: Im zweiten Paragraphen des Gesetzes wird sogar allen Ausländern — ja, allen! — zugesichert, daß sie weder bei der Einreise, der Ausreise noch beim Aufenthalt im Land ein Reisepapier benötigen. Sie müssen sich nur, wie auch die Bürger, auf amtliches Verlangen hin über ihre Person ausweisen können. Niemand braucht zudem Reisepapiere vorlegen, um ein Visum zu bekommen.

Diese völlige Abschaffung aller Reisepässe und Visa kann nur unter ganz besonderen Umständen und vorübergehend ausgesetzt werden, etwa während eines Krieges oder bei Unruhen.

Welches Land macht denn sowas?

Am 17. September 1867 „beehrt sich“ der Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes Otto von Bismarck, dem Norddeutschen Reichstag ein „Gesetz über das Paßwesen“ zur Annahme „ganz ergebenst vorzulegen.“ Das Gesetz wird in nur wenig veränderter Form mit großer Zustimmung vom Reichstag angenommen.

„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen“ verfügt das Gesetz dann „[u]rkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel“ am 12. Oktober 1867. In Kraft tritt es per 1. Januar 1868. Mit der Reichsgründung 1871 wird die Geltung des Gesetzes auf ganz Deutschland ausgeweitet.

Das „Gesetz über das Paßwesen“ kommt dabei nicht aus heiterem Himmel. In der „Dresdner Konvention“ vom 21. Oktober 1850 ist bereits die Visumspflicht innerhalb Deutschlands abgeschafft worden. Im Jahr 1859 schließt sich Österreich-Ungarn dem Abkommen an. Allerdings benötigt man zum Reisen noch eine „Paßkarte“.

Am 7. Juli 1865 machen Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg den nächsten Schritt und schaffen Paßpflicht und alle Visa ab — auch für Ausländer. Dem schließen sich bald andere deutsche Staaten an. Der Norddeutsche Bund vollzieht dies dann zwei Jahre später nach. Allerdings ist Deutschland hier eher ein Nachzügler. Die Schweiz und Schweden haben Paßpflicht und Visa schon längst für alle Länder abgeschafft, Frankreich, Belgien und die Niederlande für andere Länder auf Gegenseitigkeit.

Aufschlußreich für den liberalen Geist der Zeit ist die Begründung in den Motiven zum „Gesetz über das Paßwesen“. Diese hält sich nicht lang mit Argumenten auf:

„[N]ach den Ansichten, welche in neuerer Zeit allgemein über diesen, einen großen Theil der Bevölkerung nahe berührenden Gegenstand sich geltend gemacht haben, werden weder die gleichmäßige Regelung des Paßwesens für das ganze Gebiet des Bundes durch ein Bundesgesetz, noch auch diejenigen Grundsätze einer besonderen Rechtfertigung bedürfen, von welchen allein bei dem Erlaß eines solchen Gesetzes ausgegangen werden kann. Es darf die freie Bewegung des unverdächtigen Reisenden nicht durch Maßregeln gehemmt und gestört werden, welche keinen anderen Zweck haben, als den Verdächtigen auf die Spur zu kommen, deren Anzahl gegen die stets wachsende Zahl der Reisenden überhaupt doch immer nur verschwindend klein ist; es mußte namentlich davon ausgegangen werden, daß der Paßzwang, welcher seit der außerordentlichen Vermehrung des Reiseverkehrs ohnehin nicht mehr durchführbar war, auch gesetzlich aufzuheben sei.“

Pässe und Visa seien sowieso überflüssig, so führen die Motive weiter aus:

„Bei der Beurtheilung des Entwurfs im Allgemeinen ist zunächst der Zweck desselben ins Auge zu fassen, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß durch die darin bundesgesetzlich ausgesprochene Aufhebung des Paßzwanges weder die Wirksamkeit der Polizei bei der Verfolgung wirklich gefährlicher Individuen beeinträchtigt, noch auch andere dem Paßwesen verwandte Institute, welche aber einen anderen Zweck verfolgen, beseitigt werden sollten. Der Entwurf bezweckt, den gewöhnlichen Reiseverkehr von den Unbequemlichkeiten und Belästigungen des Paßzwanges zu befreien. Niemand soll verpflichtet sein, bloß aus dem Grunde, weil er seinen gewöhnlichen Wohnort verläßt, sich mit Legitimationspapieren zu versehen und solche auf der Reise den verschiedenen Polizeibehörden zum Visiren vorzulegen.“

Die einzige Ironie des „Gesetzes über das Paßwesen“ ist nur, daß es ausgerechnet von Otto von Bismarck vorgelegt wird, der knapp zwanzig Jahre später daran gehen wird, die Grenzen wieder zu schließen und damit eine Entwicklung einleitet, die zu den späteren Zuständen mit „Unbequemlichkeiten und Belästigungen“ geführt hat.

Deutschland war also schon mal weiter. Und leider marschiert Bayern nicht mehr an der Spitze des Fortschritts. Aber die Geschichte ist ja noch nicht zuende.