Der Befähigungsansatz bietet als moralische Theorie eine Möglichkeit, den Graben zwischen libertären und utilitaristischen Theorien zu überbrücken. Libertäre Ansätze fokussieren auf formale Freiheiten in Form von negativen Freiheitsrechten, während die utiliaristische Herangehensweise reale Ereignisse in den Mittelpunkt stellt. Der Befähigungsansatz hingegen fragt, ob Menschen die Möglichkeit haben ihr volles Potential zu erreichen. Damit geht dieser Ansatz weiter als der Libertarismus, der sich nur auf die Abwesenheit von Hindernissen durch andere bezieht. Er greift aber etwas kürzer als der Utilitarismus, da er nach Fähigkeiten statt Ergebnissen fragt.
Der Befähigungsansatz wurde maßgeblich vom Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen und der Philosophin Martha Nussbaum geprägt. Er basiert auf der passiven Freiheit, also der Abwesenheit von Hindernissen, und der aktiven Freiheit, die in der Möglichkeit besteht nach den eigenen Wünschen zu handeln. Im Mittelpunkt stehen demnach der Mensch und seine Verwirklichungschancen.
Der Befähigungsansatz liegt auch dem Human Development Index der Vereinten Nationen zugrunde. Human Development – zu deutsch menschliche Entwicklung – bemisst sich nicht so sehr an volkwirtschaftlichen Kennzahlen, sondern an der Möglichkeit der Menschen, ihr Potential auszuschöpfen. Dieses Konzept soll eine ganzheitliche und auf das Individuum bezogene Sichweise von Entwicklung schaffen.
Aus dem Konzept der menschlichen Entwicklung lassen sich Schlussfolgerungen für die Beurteilung von Migration ziehen. Wenn der Erweiterung von Entscheidungsmöglichkeiten eine moralische Bedeutung zukommt, dann stellt die Einschränkung der Freizügigkeit eine unmoralische Handlung dar. Nimmt man die Verwirklichungschancen von Migrantinnen und Migranten in den Blick, so kann man feststellen, dass restriktive Zuwanderungspolitik Menschen systematisch an der Entfaltung ihrer Potentiale hindert. Dem Konzept des Human Development zu Folge untergraben Grenzregime so die Entwicklung der Menschheit als ganzes.
Links und Literatur
- Mehr zum Befähigungsansatz (deutsch) und (englisch)
- Immigration, Ethics, and the Capability Approach (hier erhältlich) von Mathias Risse, Human Development Research Paper 2009/34.
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[Der Text beruht auf einer Übersetzung des englischen Textes Human capabilities case for open borders , zuerst erschienen auf openborders.info, durch Hanna Dietrich.]
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