Dieses freiheitliche Prinzip besagt, dass das Recht auf freie Mobilität ein Naturrecht ist und nicht auf legitime Weise beschränkt werden kann, ohne dass ein hohes Risiko einer Verletzung anderer Naturrechte besteht.
Eine Interpretation Nozicks minimalstaatlicher Prinzipien von Joseph Carens
Robert Nozick war ein libertärer Philosoph, bekannt für sein Buch „Anarchie, Staat und Utopia“, worin er zugunsten der Existenz eines minimalen Nachtwächterstaates argumentiert, dessen einzige legitime Funktion der Schutz der menschlichen Naturrechte ist. In einem Artikel mit dem Titel Aliens and Citizens: The Case for Open Borders vertritt Joseph Carren im Abschnitt „Aliens and Property“ folgende Auffassung:
Wäre in diesem Minimalstaat eine beschränkte Immigration gerechtfertigt? Nozick beantwortet diese Frage nie direkt, doch seine Argumentation scheint dem an einigen Stellen zu widersprechen. Nach Nozick ist der Staat zu nichts berechtigt außer der Durchsetzung derjenigen Rechte, die Individuen bereits im Naturzustand genießen. Staatsbürgerschaft erschafft keine zusätzlichen Ansprüche. Der Staat ist gleichermaßen zum Schutz der Rechte sowohl der Bürger wie der Nichtbürger verpflichtet, da er über ein de facto Monopol zur Durchsetzung von Rechten in seinem Territorium verfügt. Individuen haben das Recht, in einen freiwilligen Austausch mit anderen Individuen zu treten. Sie besitzen dieses Recht als Individuen, nicht als Bürger. Der Staat darf hierbei nicht intervenieren, solange nicht die Rechte eines Anderen geschädigt werden.
Dies hat einige Implikationen bezüglich Immigration. Man stelle sich einen Bauern aus den USA vor, der einen Arbeiter aus Mexiko anstellen möchte. Die Regierung hätte kein Recht, ihn hieran zu hindern. Das Aufhalten des mexikanischen Arbeiters würde sowohl die Rechte des amerikanischen Bauern als auch des mexikanischen Arbeiters in ihrer Ausübung eines freiwilligen Austausches verletzen. Natürlich wären amerikanische Arbeiter möglicherweise durch den Wettbewerb mit fremden Arbeitern benachteiligt. Doch Nozick verneint explizit, dass irgendjemand ein Recht auf Schutz gegen Nachteile durch Wettbewerb hat. (Dies als eine Verletzung anzusehen würde die Grundlagen von individuellen Eigentumsrechten untergraben.) Selbst wenn Mexikaner keine Jobangebote eines Amerikaners hätten, gäbe es für eine Nozicksche Regierung keine Grundlage sie vom Betreten des Landes abzuhalten. Solange sie friedfertig sind und nicht stehlen, Privateigentum verletzen oder anderweitig die Rechte von Individuen beeinträchtigen, wären ihre Einwanderung und ihre Tätigkeiten keine Angelegenheiten, die den Staat betreffen.
Bedeutet dies, dass Nozicks Theorie keine Grundlage für den Ausschluss von Fremden bietet? Nicht direkt. Es bedeutet vielmehr, dass sie keine Grundlage für den Staat bietet, Fremde auszuschließen, und dass sie keine Grundlage für Individuen bietet, Fremde auszuschließen, die nicht auch einen Ausschluss von Bürgern rechtfertigen würde. Arme Einwanderer könnten sich kein Leben in wohlhabenden Vorstädten leisten (außer in Dienstunterkünften), doch das würde auch für arme Bürger gelten. Einzelne Eigentümer könnten sich weigern Fremde einzustellen, ihnen Häuser zu vermieten, ihnen Nahrung zu verkaufen etc., doch in einer Nozickschen Welt könnten sie dasselbe mit ihren Mitbürgern tun. Mit anderen Worten können Individuen mit ihrem Privatbesitz nach ihrem Belieben umgehen. Sie mögen jedweden von ihrem Land ausschließen, aber sie haben dieses Recht zum Ausschluss als Individuen, nicht als Mitglieder eines Kollektivs. Sie können andere Individuen nicht davon abhalten, anders zu handeln (Fremde einzustellen, ihnen Häuser zu vermieten, etc.)
Walter Blocks Argument
In seinem Artikel A Libertarian Case For Free Immigration verdeutlicht Walter Block detailliert, warum er der Meinung ist, dass infolge libertärer Prinzipien Emigration, Migration und Immigration allesamt frei sein sollten. Hier einige wichtige Auszüge von Blocks Argumentation:
Immigration über nationale Grenzen hinweg sollte auf die gleiche Weise analysiert werden wie Migration, die innerhalb eines Landes stattfindet. Wenn es nicht invasiv ist, innerhalb des Landes umzuziehen, dann kann es auch nicht invasiv sein, von einem Land in ein anderes zu ziehen. Anders ausgedrückt: Wenn Migration über internationale Grenzen in irgendeiner Weise illegitim ist, dann sollte dies auch für die innerstaatliche Variante gelten.
Solange der Immigrant auf ein Stück Land zieht, dessen Eigentümer bereit ist ihn (möglicherweise gegen Gebühr) aufzunehmen, kann es nichts Ungehöriges an einer solchen Transaktion geben. Dies muss, wie bei allen anderen vertraglichen Tätigkeiten zwischen übereinstimmenden Erwachsenen, in einer freien Welt als zulässig angesehen werden. Wichtig ist hierbei, dass es kein Recht auf freie Bewegung per se gibt. Dies hängt immer vom Wohlwollen der Eigentümer in der Gastnation ab, Immigranten auf ihrem Land zu akzeptieren. […]
In realen Ländern können Tausende, wenn nicht Millionen Landbesitzer gefunden werden, die bereit sind, Platz an Menschen aus allen Teilen der Welt zu vermieten oder zu verkaufen. Beispielsweise möchten Gastronomen, die sich auf fremdländisches Essen spezialisiert haben, authentische Köche aus anderen Ländern anstellen. Aus praktischen Gesichtsgründen wäre es unvorstellbar, dass einige landbesitzende Bürger, deren Familien selbst in der Vergangenheit eingewandert sind, nicht daran interessiert wären andere Landsleute aufzunehmen, besonders bei der hohen verfügbaren Bezahlung, wenn die meisten Landbesitzer Geschäfte mit Immigranten ausschließen.
Der Fall ist ebenso klar bei der Inbesitznahme von herrenlosem Land durch Immigranten. Wenn unberührter Raum verfügbar ist gibt es keinen Grund, Immigranten (oder Staatsbürger) davon abzuhalten, diesen einer nutzvollen Verwendung zuzuführen.
Nathanael Smiths Theorie der Straßen
Eine andere Version dieses Arguments stammt von Nathanael Smith. Smith entwickelt eine moralische Philosophie in seinem Buch „Principles of a Free Society“. Eine kürzere Version seines Arguments findet sich in diesem Artikel für TCS Daily. Hier einige Kernpunkte seiner moralischen Philosophie:
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Smith unterscheidet zwischen Rechten (negative Rechte) und Freiheiten (die eine Art positiver Rechte darstellen). Seine Nutzung dieser Terminologie weicht von der einiger anderer Libertärer ab. Er vertritt die Auffassung, dass Rechte Rechte auf die Freiheit von Angriffen auf das eigene Leben darstellen. Er identifiziert habeas corpus und Gedankenfreiheit als zwei wesentliche Prinzipien, von denen Rechte abgeleitet werden können. Freiheit bedeutet die Möglichkeit, alles zu tun was man möchte, solange nicht die Rechte Anderer beeinträchtigt werden. Daher ist die einzige legitime Begründung einer Verneinung von Freiheiten, dass sie Rechte beeinträchtigen. Demnach habe ich keine „Recht“ meine Faust durch die Luft zu schwingen, aber ich habe die Freiheit es zu tun – solange deine Nase nicht in dem Bereich liegt, in den ich meine Faust schwingen möchte.
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Smith entwickelt ebenso eine Theorie des Besitzes von Straßen und anderen öffentlichen Ressourcen, die bedeutend für die Zurückweisung von Ansprüchen auf kollektives Eigentum ist. Er argumentiert, dass Menschen einer Region die Errichtung oder Schließung von Straßen durch kollektive Entscheidungsfindung auf einem regionalen Level ohne die Hinzuziehung Anderer wählen können. Außenstehende hätten demnach keine Mitsprache, ob Straßen gebaut würden oder wie diese angelegt werden sollten. Sobald die Straßen einmal erbaut und befahrbar sind haben sie nichtsdestotrotz nicht ausschließbare Transitrechte auf diesen Straßen und können nicht willkürlich von der Nutzung ausgeschlossen werden. Anders formuliert haben Außenstehende die „Freiheit“ zur Nutzung der Straßen.
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Einschränkungen bzgl. Immigration sind vergleichbar mit dem Verbot für Außenstehende zur Nutzung der Straßen.
Einige Zitat aus Smiths Buch:
Die generelle Freiheit zur Nutzung der Straßen hat daher eine Grundlage in den Naturrechten, gilt gleichermaßen für Bürger und Nichtbürger eines Staates und kann durch eine Regierung nicht rechtmäßig eingeschränkt werden, es sei denn wenn die Straßen auf eine Weise genutzt werden, die eine objektive Gefahr für die Sicherheit der Bürger darstellen (bspw. Trunkenheit am Steuer, Bandenkriege oder die Beförderung feindlicher Armeen). Illegale Immigranten betreiben (zumindest in einigen Fällen) eine Form zivilen Ungehorsams gegen unrechtmäßige Gesetze. Es sind diese Gesetze, und nicht die Immigranten, die falsch sind und geändert werden sollten, anstatt die Immigranten zu entfernen.
Smith, Nathanael. Principles of a Free Society (Kinle Locations 2689-2693). The Locke Institute. Kindle Edition.
Smith beruft zudem die Gründungsmythologie der USA:
Die Freiheitsstatue, ein Geschenk gespendet von Frankreich an die Vereinigten Staaten im Jahr 1886, die im späten 19. Jahrhundert das erste Zeichen der Neuen Welt für in New York eintreffende Immigranten war, steht immer noch im Hafen von New York und trägt eine Tafel mit einem Gedicht, „The New Colossus“, das mit der Zeit die Bedeutung der Statue repräsentierte. Das Gedicht besagt:
„Nicht wie der metallene Gigant von griechischem Ruhm,
Mit sieghaften Gliedern gespreizt von Land zu Land.
Hier an unserem meerumspülten hesperischen Tore soll stehen
Eine mächtige Frau mit Fackel, deren FlammeDer eingefangene Blitzstrahl ist, und ihr Name
Mutter der Verbannten lautet. Von ihrer Leuchtfeuerhand
Glüht weltweites Willkommen, ihre milden Augen beherrschen
Den luftüberspannten Hafen, den Zwillingsstädte umrahmen.‚Behaltet, o alte Lande, euren sagenumwobenen Prunk‘, ruft sie
Mit stummen Lippen. ‚Gebt mir eure Müden, eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten;
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!‘“
Basierend auf den heutigen Immigrationsbestimmungen ist Amerika nicht würdig, stolz auf die Freiheitsstatue und darauf zu sein, was sie dank dieses Gedichtes und der Immigrationserfahrung auf Ellis Island repräsentiert. Amerika schließt nicht nur die meisten Fremden, die kommen wollen, aus, sondern diskriminiert auch willentlich zugunsten der Wohlhabenden und Gebildeten und gegen eben jene, die laut des Gedichtes durch die Freiheitsstatue willkommen geheißen werden: die Armen, die Heimatlosen, die Elenden, die Verzweifelten. Dennoch haben die Amerikaner noch keine Schlepper damit beauftragt, die Freiheitsstatue in die See zu ziehen. „The New Colossus“ wurde noch nicht von der Wand der Freiheitsstatue abgemeißelt. Amerikaner sehen die Freiheitsstatue immer noch als Nationalsymbol an und zitieren das Gedicht mit patriotischem Stolz, sonderbarerweise nicht vermischt mit Scham angesichts der Entfernung von dem Ideal, das es so schön beschreibt.
Smith, Nathanael (2010-12-10). Principles of a Free Society (Kindle Locations 2766-2786). The Locke Institute. Kindle Edition.
[Übersetzung des englischen Originals durch Achim Fischbach: Right to migrate, ursprünglich erschienen auf openborders.info.]
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