Chancengleichheit

Einwanderungsbeschränkungen führen zu einer willkürlichen Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geburtsortes, die mit staatlicher Gewalt durchgesetzt wird. Dadurch wird Menschen, die in Staaten mit dysfunktionalen politischen und ökonomischen Systemen leben, die Möglichkeit genommen, in anderen Ländern ihren Wert zu beweisen. Ihnen wird die Chance verwehrt, ihren Lebensstandard durch eigene Anstrengung zu verbessern und ihren Kindern so eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Das ist das Gegenteil von Chancengleichheit.

An der Frage der Chancengleichheit entzünden sich viele Debatten. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass es nicht die Aufgabe von Regierungen ist, gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. Stattdessen sollten staatliche Stellen ihre Bemühungen auf die Gewährung von gleichem Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und auf Gleichheit vor dem Gesetz beschränken. Vertreter dieser Ansicht sind davon überzeugt, dass die staatliche Durchsetzung von Chancengleichheit durch Quotenregelungen oder Restriktionen bei der Vergabe von Stellen einen Eingriff in die Vertragsfreiheit privater Akteure darstellt und somit die Privatautonomie verletzt. Außerdem haben solche Maßnahmen oft ungewollte negative Konsequenzen.

Die Gegenseite plädiert für eine aktive Rolle des Staates bei der Herstellung von Chancengleichheit durch Einschränkung oder Verbot von diskriminierenden Praktiken bei der Vergabe von Stellen. Einige sprechen sich für Quotenregelungen für private Arbeitgeber aus. Andere fordern Wohlfahrtsprogramme für Bedürftige, die Kindern aus ärmeren Verhältnissen die Möglichkeit eröffnen sollen mit Kindern aus privilegierten Schichten gleichzuziehen.

Chancengleichheit ist ein komplexes Thema, bei dem unterschiedliche Werte miteinander in Konflikt geraten (v.a. Vertragsfreiheit und Privatautonomie mit dem Ziel der Gleichheit). Zudem gibt es große Unsicherheiten hinsichtlich unbeabsichtigter Folgen von Maßnahmen, die auf Chancengleichheit zielen.

Trotz dieser Streitpunkte stimmen Vertreter beider Seiten überein, dass Gesetze, die Vertragsfreiheit verhindern und unterprivilegierten Menschen Chancengleichheit verweigern auf jeden Fall inakzeptabel sind.

Restriktionen gegen Einwanderung sind ein Beispiel für die Verweigerung von Chancengleichheit und Vertragsfreiheit. Daher sollten sowohl Verteidiger der Privatautonomie als auch Fürsprecher einer staatlich herbeigeführten Chancengleichheit für offene Grenzen eintreten.

Siehe auch:

  • No blacks need apply: Michael Clemens vergleicht die Auswirkungen von restriktiven Grenzregimen mit rassistischer Diskriminierung. Zwar wird in westlichen Industrieländern niemandem vom Staat die Arbeitserlaubnis verwehrt, weil er oder sie einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehört, doch wenn jemand eine anderen Nationalität hat, dann kann das dazu führen, dass er nicht arbeiten darf, selbst wenn ihm eine Stelle angeboten wird.
  • Globale Apartheid: In eine ähnliche Richtung zielt der Vergleich mit dem südafrikanischen Apartheidsregime und den Segregationsgesetzen in den Südstaaten der USA (Jim Crow Laws). Die Freizügigkeit schwarzer Menschen und ihr Zugang zum Arbeitsmarkt waren starken Beschränkungen unterworfen. Dasselbe geschieht heute in den Industriestaaten mit bestimmten Gruppen von Migranten, vor allem Asylbewerbern. Viele Ausländer haben in Deutschland nur eine beschränkte Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit, so dass ein Arbeitgeber erst im Rahmen einer mühsamen „Vorrangprüfung“ belegen muss, dass ihm kein Deutscher oder EU-Bürger für diese Stelle zur Verfügung stand. Nur wenige Arbeitgeber sind zu einem solchen bürokratischen Aufwand bereit.
  • Immigration restrictions as affirmative action: Bryan Caplan vergleicht restriktive Grenzregime mit „Affirmative Action“ Programmen, also Quotenregelungen, die bestimmten Gruppen einen Vorrang bei der Vergabe von Arbeitsplätzen sichern. Man kann die Beschränkungen der Einwanderung und die Arbeitsverbote für bestimmte Migrantengruppen auch als Quotenregelung für Menschen mit der „richtigen“ Staatsangehörigkeit interpretieren. Allerdings ist die Bevorzugung der eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gegenüber Menschen ohne deutschen Pass oder EU-Zugehörigkeit viel harscher, als zum Beispiel die viel kritisierte Regelung zur Frauenquote in Aufsichtsräten, die vorsieht, dass mindestens 30 Prozent der Posten an Frauen vergeben werden  müssen, wobei Frauen immerhin 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Restriktive Grenzregime und Arbeitsverbote sorgen dafür, dass fast 100 Prozent der Arbeitsstellen in der Europäischen Union beinahe exklusiv für knapp 7 Prozent der Weltbevölkerung reserviert sind, in diesem Fall Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von EU-Staaten.

[Der Text beruht auf einer Übersetzung des englischen Textes Equal Opportunity, ursprünglich erschienen auf openborders.info, durch Hanna Dietrich.]

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