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Die Kosten von geschlossenen Grenzen

Alex Tabarrok bei Marginal Revolution hat einen interessanten Hinweis zu einem Report des Migration Policy Institutes: “Immigration Enforcement in the United States: The Rise of a Formidable Machinery”. In diesem stellen die vier Autoren Doris Meissner, Donald M. Kerwin, Muzaffar Chishti, and Claire Bergeron zusammen, was die amerikanische Bundesregierung alles zur “Grenzsicherung” unternimmt. Mittlerweile gibt sie mehr dafür aus als für alle anderen polizeilichen Aktivitäten, nämlich 18 Milliarden Dollar pro Jahr gegenüber 14,4 Milliarden Dollar für FBI, Drug Enforcement Agency (DEA), Secret Service, US Marshals Service, and Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) zusammen.

Man darf da durchaus mal fragen, welchen Gewinn an Sicherheit die Amerikaner denn haben, weil man mexikanische Landarbeiter aus dem Land zu halten trachtet. Gibt es wirklich keine bessere Verwendung, um die Bevölkerung gezielt vor Schaden zu bewahren?

Beim gegenwärtigen Umrechnungskurs entspricht der Betrag übrigens gut 13 Milliarden Euro oder, um ein Gefühl für die Dimensionen zu bekommen, etwas mehr als dem Budget 2012 des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Was käme heraus, wenn man eine ähnliche Rechnung für Europa aufmachen würde? Wieviel Bürokratie hat denn allein die Diskussion über die “Einwanderung in die Sozialsysteme” losgetreten und wieviel meint man mit der Jagd nach fiktiven Betrügern und ein paar wirklichen dem Steuerzahler im Gegenzug ersparen zu können? Wenn man einen Strich drunter machen würde, könnte die Verschwendung von Steuergeldern ganz woanders liegen.

Es ist oft die Rede davon, welche Kosten offene oder wenigstens offenere Grenzen den Menschen in reichen Ländern einbringen könnten. Vergessen wird dabei, sich zu fragen, zu welchen Kosten geschlossene Grenzen nicht nur für Menschen aus armen Ländern, sondern auch für die Steuerzahler in reichen Ländern führen. Zu den Kosten wäre dabei noch zu zählen die Abscheu, mit seinem Beitrag ein derart verwerfliches System subventionieren zu müssen. Aber lieber Augen zu, Fenster auf und raus mit dem Geld!

Lebensgeschichte eines Mecklenburgers

Am 20. Mai 1864, also vor fast genau 150 Jahren, erschien die folgende Karikatur im wöchentlichen Satireblatt “Hamburger Wespen”. Sie zeigt, wie Menschen sich bei offenen Grenzen aus Unterdrückung befreien können.

In jener Zeit sind für viele Deutsche die USA die große Hoffnung auf ein freies Leben. Aus Mecklenburg, bestehend aus den beiden verbundenen Herzogtümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, wandern dabei besonders viele aus, weil das Land nicht nur sehr arm ist, sondern auch unter den besonders rückständigen Verhältnissen leidet. So dürfen Juden etwa, anders als sonst fast überall in Deutschland, noch bis 1867 kein Land erwerben, keine öffentlichen Ämter bekleiden und sind in gewissen Städten, wie etwa in Rostock und Wismar nur mit ausdrücklicher Erlaubnis zugelassen. Bis Ende des Kaiserreichs wird Mecklenburg auch keine Verfassung haben. Wie Bismarck später in einem ihm zugeschriebenen Wort scherzen wird:

Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Mecklenburg, denn dort geht sie fünfzig Jahre später unter.

Die “Hamburger Wespen” werden hauptsächlich von ihrem verantwortlichen Redakteur Julius Stettenheim gemacht, gegen den wegen seiner demokratischen Haltung ein Haftbefehl in Preußen läuft. Da Preußen auch auf die meisten anderen Staaten in Deutschland durchgreifen kann, aber nicht auf Hamburg, kann Julius Stettenheim bis zur Amnestie nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 seine Heimatstadt nicht verlassen. 1867 zieht er dann nach Berlin, benennt sein Blatt in “Berliner Wespen” um und macht es zu einer der führenden Satireschriften des Kaiserreichs mit einer politischen Ausrichtung, die der Deutschen Fortschrittspartei nahesteht.

Die “Hamburger Wespen” bringt 1864 in Rage, daß in Mecklenburg die Prügelstrafe “verbessert” wird. Diese war zwar 1802 abgeschafft, aber 1852 wieder eingeführt worden. Zum Verständnis der Karikatur muß man zudem noch wissen, daß es die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs von 1861 bis 1865 ist. Mit der Emanzipations-Proklamation vom 22. September 1862, die per 1. Januar 1863 in Kraft tritt, ist die Sklaverei in den Südstaaten der USA für abgeschafft erklärt worden.

Lebensgeschichte eines Mecklenburgers.

In der Wiege

In  der Wiege.

In der Schule

In der Schule.

In der Lehre

In der Lehre.

Der Manngewordene

Der Manngewordene wird jetzt nicht mehr willkürlich,
sondern gesetzlich behandelt, aber sehr.

In Amerika

In Amerika endlich findet er bei seinen einstigen
Leidensgenossen die langersehnte Sicherheit.

[Dies ist eine Überarbeitung eines Artikels, der zuerst am 7. Mai 2013 auf dem Blog “Freisinnige Zeitung” erschienen ist.]

Offene Grenzen und Kriminalität

Einer der wohl häufigsten Einwände gegen offene Grenzen ist der, daß ein starker Anstieg bei Verbrechen zu erwarten sei. Allerdings bemühen sich Vertreter einer solchen These nur selten, sie auch zu belegen. Häufig werden ein paar aktuelle Beispiele von Verbrechen angeführt oder selektiv aus Statistiken Daten ausgewählt. Eine weitere Betrachtung scheint auch kaum nötig, weil die Behauptung sofort von den meisten durchgewunken wird. Mißtrauen gegen Fremdgruppen ist wohl eine Grundkonstante des menschlichen Denkens und überall zu beobachten. Auf einer intuitiven Ebene wird dabei vermutlich so geschlossen: Ich oder Meinesgleichen würden eigentlich gar keine Verbrechen begehen, weshalb diese kaum von „uns“ kommen können. Von den „anderen“ weiß man das nicht so sicher. Wenn es also doch Verbrechen gibt, dann rühren sie wohl daher.

Im folgenden soll als Kontrast der ausführliche und detaillierte Artikel „Debunking the Myth of Immigrant Criminality: Imprisonment Among First- and Second-Generation Young Men“ der vier Autoren Rubén G. Rumbaut, Roberto G. Gonzales, Golnaz Komaie und Charlie V. Morgan aus dem Jahre 2006 besprochen und kommentiert werden, der die Vorstellung von der importierten Kriminalität gehörig durcheinanderwirbelt. Es sei dabei angemerkt, daß der Sachverhalt recht stabil ist und nicht nur für die USA, sondern auch für andere Länder gilt. Um es zudem vorweg zu sagen: die Verneinung einer Behauptung „Einwanderer sind sehr viel krimineller als Inländer“ ist „Einwanderer sind nicht sehr viel krimineller als Inländer“ und nicht „Einwanderer begehen nie Verbrechen, nur Inländer“. Viele Verteidiger von Einwanderung schießen hier übers Ziel hinaus und verheben sich mit dem Versuch, die letztere Aussage zu beweisen, welche aber einfach nur falsch ist. Einwanderer begehen natürlich auch Verbrechen. Insofern muß man sich gar nicht zu einem aussichtslosen Kampf rüsten, jedes Beispiel für Verbrechen von Einwanderern zu bestreiten.

Als das für viele vielleicht verblüffende Resultat für die USA stellt sich heraus: Einwanderer in der ersten Generation sind nicht einfach nur nicht sehr viel krimineller, sondern sogar deutlich weniger kriminell als Inländer. Durch Einwanderung sinkt die Kriminalität also. Hingegen kommt es in der zweiten und dritten Generation zu einem deutlichen Anstieg, sodaß die Kinder und Enkel je nachdem krimineller als der Schnitt der einheimischen Bevölkerung sein können. Vergleicht man bei diesen jedoch ähnliche Gruppen, etwa diejenigen, die eine High School abschließen oder nicht, dann sind auch die Einwanderer der zweiten und dritten Generation fast immer weniger kriminell als ihre Pendants in der einheimischen Bevölkerung.

Bevor der Gegner von offenen Grenzen hier erfreut aufjubelt, weil es zu einem Anstieg von der ersten zur zweiten Generation kommt, sei darauf hingewiesen, daß sich daraus einige knifflige Probleme für ihn ergeben. Vielfach werden etwa kulturelle Eigenschaften der Einwanderer als Ursache für Verbrechen vermutet, die diese aus den Herkunftsländern mitgebracht hätten. Da viele der für die USA relevanten Länder in Süd- und Mittelamerika liegen und recht hohe Verbrechensraten aufweisen, erscheint das plausibel. Doch wenn Einwanderer der ersten Generation sich gar nicht so verhalten und dies ihren Nachkommen vorleben, dann sollte die Weitergabe der heimischen Kultur eigentlich unterbrochen sein. Viel eher ist daraus zu schließen, daß das Verhalten der Kinder und Enkel im Inland zustandegekommen ist. Bei genauerem Hinsehen gibt es dafür auch gute Gründe, nicht die Einwanderung, sondern die Assimilierung an ein Umfeld als Ursache zu vermuten, das für Einwanderer, die in einschlägigen Gegenden landen, eben krimineller ausfällt als im Schnitt der Bevölkerung.

Auch eine allseits beliebte genetische Erklärung hat ihre Schwierigkeiten, denn es ist nicht zu verstehen, wieso die Eltern wesentlich andere genetische Eigenschaften als ihre Nachkommen haben sollten. Hierzu müßte ja eine reichlich absurde Veränderung im Inland unterstellt werden, die binnen einer Generation eintritt. Je nachdem wird die genetische Verursachung dann auch über Bande gespielt und der IQ als Zwischengröße eingeschoben. Doch auch hier ist die Logik nicht zu halten: Gerade wenn man von einer starken Erblichkeit des IQ ausgeht, sollten sich die Generationen in dieser Beziehung praktisch nicht unterscheiden, weshalb man kein Argument für unterschiedliches Verhalten darauf aufbauen kann.

Ebenso tun sich Erklärungen schwer, die einen geringen Bildungsstand, schlechte Schulleistungen oder relative Armut als Ursache (und nicht nur als begleitendes Symptom) für die Kriminalität in der zweiten und dritten Generation vermuten. Nach all diesen Kriterien mögen die Nachkommen schlechter als der Schnitt der Inländer auskommen, aber vermutlich doch besser als ihre Eltern und Großeltern. Daraus würde dann aber folgen, daß man eine geringere Kriminalität erwarten sollte und nicht eine höhere. Daß es viele Schulabrecher in der zweiten und dritten Generation gibt, ist wohl eher Ausdruck einer Assimilation an ein gewisses Segment der inländischen Bevölkerung, dem sich Einwanderer stärker als andere gegenübersehen.

Es ist auch apriori nicht klar, ob selbst eine überdurchschnittliche Kriminalität in der zweiten und dritten Generation zu mehr Verbrechen insgesamt führt. Denkbar ist hier durchaus auch, daß es zu einer Verdrängung von inländischen Kriminellen kommt, bzw. für Inländer eine kriminelle Karriere unattraktiver wird. Nehmen wir beispielsweise ein Stadtviertel, in dem illegale Aktivitäten zur Kultur gehören. Da das Viertel für Inländer relativ unattraktiv ist, liegen die Mieten niedrig. Einwanderer ohne große Mittel werden hier vermutlich überdurchschnittlich häufig hinziehen. Im ersten Schritt würde ihr Zuzug allerdings zu weniger Kriminalität führen und sich damit eine weniger kriminelle Kultur einstellen.

Im zweiten Schritt würden die Nachkommen der ersten Generation sich nun unvollständig an das Milieu in dem Viertel assimilieren, das immer noch überdurchschnittlich kriminell bliebe. Dafür würden aber Inländer aus dem Viertel wegziehen, und ihre Kinder somit in einem weniger kriminellen Milieu aufwachsen. Netto könnte es dazu kommen, und das wäre sogar anzunehmen, daß gleichzeitig gewisse Einwanderergruppen in der zweiten und dritten Generation als überdurchschnittlich kriminell auffallen und die Kriminaltät im Allgemeinen aufgrund der Einwanderung sinkt. Vergessen wird nämlich leicht, daß ohne die Einwanderung in dem Viertel vermutlich ein kriminelleres Niveau geherrscht hätte, an das sich die Kinder der Inländer assimiliert hätten. Sie wären wohl ebenfalls krimineller als der Schnitt der Bevölkerung geworden, vermutlich sogar noch krimineller als die nur auffälligeren eingewanderten Gruppen, die an ihrer Stelle eingerückt sind.

Ob ein solcher Zusammenhang besteht, sei dahingestellt. Es ging mir nur darum aufzuzeigen, daß es durchaus nicht von vornherein so klar wie oft angenommen ist, daß ein Anstieg der Kriminalität in der zweiten und dritten Einwanderergeneration das allgemeine Verbrechensniveau erhöht, wobei das die relevante Größe für Inländer wäre, die sich bedroht fühlen. Bevor ich weiter unten die Frage noch einmal aufgreife, wie die höhere Kriminalität in der der zweiten und dritten Generation vielleicht zu erklären sein könnte und was sie bedeutet, zuerst einmal die angekündigte Zusammenfassung des oben genannten Artikels mit einigen Anmerkungen. Im Zweifelsfall sei auf den originalen Beitrag verwiesen, der mehr Material und die angeführten Referenzen enthält.

In den USA kommen die weitaus meisten Einwanderer aus Mexiko mit einem Anteil von 27%. Größere Gruppen sind zudem Einwanderer von den Philippinen sowie aus China, Indien und Vietnam. Danach folgen mit Abstand Kubaner, Koreaner, Salvadorianer und Dominikaner. Die meisten Kinder dieser Einwanderer waren zum Zeitpunkt der Betrachtung buchstäblich Kinder im Alter von 9 bis 15 Jahren, weil die Einwanderung noch nicht lange her stattfand. Einwanderer leben zudem meistens in einem städtischen und hierbei großstädtischen Umfeld. Vom Bildungsstand sind sie an den Enden des Spektrums sehr stark repräsentiert: unter den am besten und den am schlechtesten Ausgebildeten.

In den USA sind sehr viele Menschen inhaftiert, wobei es mehr als eine Vervierfachung der Gefängnisinsassen von 1980 bis 2005 gab, die zumeist männlich und im Alter von 18 bis 39 Jahren sind. Geschätzte 80% der Verbrechen hatten direkt mit Drogen zu tun, wie etwa bei Verletzung von Drogengesetzen, Verbrechen unter Drogeneinfluß und Beschaffungsdelikten, oder die Verurteilten wiesen eine Vorgeschichte von Drogengebrauch auf. Insgesamt waren 3,2% der amerikanischen Bevölkerung über 18 Jahren in Gefängnissen, auf Freigang oder auf Bewährung. Von 100.000 Erwachsenen waren unter Schwarzen 4.834 im Gefängnis, von Hispanics 1.778 und von Weißen 681. Hierbei wuchs die Zahl für die Hispanics über die Zeit besonders stark. Die meisten Gefangenen hatten einen sehr niedrigen Bildungshintergrund als Schulabbrecher vor Abschluß der High School.

Die Vermutung, daß Einwanderung die Kriminalität treibt, ist nicht neu. Sie kam auch schon in früheren Phasen mit starker Einwanderung auf, etwa im 19. und angehenden 20. Jahrhundert. Im Fokus standen dabei zuerst Iren und Chinesen, später Juden und Italiener und in heutiger Zeit Einwanderer aus Lateinamerika. Im Jahr 2000 meinten Amerikaner in einer Befragung zu 25%, daß Einwanderer sehr wahrscheinlich und 48% etwas („somewhat“) wahrscheinlich für höhere Verbrechensraten verantwortlich seien. Das war sogar der häufigste Vorwurf gegen Einwanderer vor dem, daß sie den Amerikanern die Arbeit wegnehmen (60 Prozent) und die nationale Einheit unterminieren (56 Prozent). Politiker und Kommentatoren griffen solche Einstellungen auf und plädiderten für eine stärkere „Sicherung“ der Grenzen, um die Kriminalität zu senken.

Daten aus der Volkszählung von 2000 ergaben folgendes Bild für die Rate, mit der verschiedene Gruppen im Gefängnis saßen. Während es für die in den USA geborenen Männer zwischen 18 und 39 Jahren 3,51% der Bevölkerung waren, belief sich der Anteil für die im Ausland Geborenen auf nur 0,86%, lag also deutlich niedriger. Unterdurchschnittlich waren dabei sogar Einwanderer aus Mittelamerika wie Salvadorianer und Guatemalteken vertreten mit nur 0,52% sowie aus Mexiko mit 0,70%, die in der amerikanischen Öffentlichkeit vor allem mit Verbrechen in Verbindung gebracht werden.

Unter den im Inland Geborenen waren Schwarze in dieser Altersklasse besonders häufig inhaftiert mit 11,61%. Rechnet man diese heraus, so saßen Weiße ex Hispanics nur mit einer Rate von 1,71% im Gefängnis, was aber immer noch etwa das Doppelte der Rate für die im Ausland Geborenen war. Das Resultat gilt dabei für praktisch jedes Land, aus dem die Einwanderer kamen: Diejenigen, die im Ausland geboren wurden, waren deutlich seltener im Gefängnis als der Schnitt der Amerikaner. Die Rate für die USA inklusive der im Ausland Geborenen lag deshalb mit 3,04% auch niedriger als für die im Inland Geborenen. Mit anderen Worten: die Verbrechensrate sank durch die Einwanderung.

Allerdings erhöhten sich die Raten für die in den USA Geborenen mit einem Einwanderungshintergrund, wohl zumeist Angehörige der zweiten und teilweise dritten Generation. Hier kam es zu einem deutlichen Anstieg gegenüber der ersten Generation, wobei das Niveau aber für viele der Ausgangsländer unterdurchschnittlich blieb. Die größten Verschlechterungen gab es dabei für Mexikaner mit einer Inhaftierungsrate von 5,9% und für Kubaner mit 4,2% Gefängnisinsassen sowie für Vietnamesen mit 5,6% und für Kambodschaner und Laoten mit 7,26% gegenüber dem Durchschnitt von 3,51%. Im Verhältnis zu der Bandbreite, die im Inland herrschte, lagen aber diese erhöhten Zahlen immer noch eher im Mittelfeld.

Betrachtet man die Raten für diejenigen, die die High School abgeschlossen hatten oder nicht, so lagen in beiden Gruppen die Einwanderer für fast alle Herkunftsländer wieder unter dem Durchschnitt (einzige Ausnahme: kubanische High-School-Absolventen, die mit einer Rate von 2,29% leicht über dem allgemeinen Schnitt von 2% auskamen). Mit anderen Worten: auch Einwanderer der zweiten und dritten Generation waren weniger kriminell als Inländer mit einem entsprechenden Bildungsniveau. Daß sich insgesamt je nachdem höhere Raten einstellten, geht damit einher, daß es in den Einwanderergruppen mehr Schulabbrecher gab. In der zweiten und dritten Generation hatten die Einwanderer zwar zu den Einheimischen aufgeschlossen, diese aber noch nicht erreicht. Näher liegt es daher, nach Gründen für höhere Raten von Schulabbrechern zu schauen und womit diese zusammenhängen, als eine weit hergeholte Verbindung zum Ursprungsland zu konstruieren.

Den größten Anstieg verzeichnen in den USA Geborene, die aus Mexiko stammen (auf mehr als das Achtfache), aus Vietnam (von 0,46% auf 5,6%) sowie aus Kambodscha und Laos (von 0,92% auf 7,26%). Interessanterweise fallen die hierzulande gerne und auch ganz zurecht als Mustereinwanderer beliebten Vietnamesen eher schlecht auf. Das zeigt vielleicht auch, daß das spezifische Umfeld in den USA und nicht das Ausgangsland eine Rolle spielt. Die Ergebnisse gelten hier zumeist für die zweite Generation, weil die Einwanderung nicht lange zurückliegt. Nur bei den Mexikanern sind die in den USA Geborenen zu etwa einem Viertel auch der dritten Generation zuzurechnen. Allerdings sind Einwanderer der zweiten Generation aus China und von den Philippinen immer noch weniger kriminell als weiße Amerikaner ex Hispanics und erst recht als der Durchschnitt.

Für die erste Generation von Einwanderern liegen die Raten von Gefängnisinsassen für Schulabbrecher zwar höher als für diejenigen, die abschließen, aber der Unterschied ist eher gering (1,31% versus 0,57%), während er bei den im Inland Geborenen markant ausfällt (9,76% versus 2,23%). Einwanderer der ersten Generation ohne Abschluß waren somit sogar weniger kriminell als im Inland Geborene mit einem Abschluß. Ob jemand im In- oder im Ausland geboren war, hatte somit eine größere Vorhersagekraft, als ob er einen Abschluß geschafft hatte.

Daß es hier um eine Assimilierung an die Verhältnisse in den USA handelt, zeigt auch eine Auswertung nach der Dauer des Aufenthalts. Für praktisch jede Gruppe steigt die Rate der Gefängnisinsassen über die Zeit an. Doch auch nach mehr als 15 Jahren sind mexikanische Einwanderer noch immer sehr wenig kriminell, was der Wahrnehmung etwa in Kalifornien widerspricht, wo es besonders viele Einwanderer gerade aus Mexiko hinzieht. Hier liegen die Raten für die im Inland Geborenen mit 4,5% höher als in den USA allgemein, für die im Ausland Geborenen aber sogar niedriger mit 0,4%. Die Kalifornier sollten sich von daher für zehnmal gesetzestreuere Einwanderer eigentlich bedanken, anstatt in Hysterie zu verfallen.

Auf der Grundlage von Daten aus langangelegten Befragungen von Kindern mit einem Einwanderungshintergrund in Südkalifornien und Südflorida, der „Children of Immigrants Longitudial Study (CILS)“, ergeben sich Einsichten in die steigenden Verbrechensraten in der zweiten und dritten Generation. Die Angaben der Befragten wurden dabei mit anderen Quellen abgeglichen, wie etwa Daten des Gefängnissystems. Etwa die Hälfte der Beobachteten gehörte der ersten, die andere Hälfte der zweiten Generation an.

Die Eltern der zweiten Generation hatten weit überwiegend keine höheren Abschlüsse (zwei Drittel bis drei Viertel), wobei allerdings Chinesen und Filipinos relativ häufig ein College absolviert hatten, mehr als Amerikaner im Durchschnitt. Kinder, die aus Kambodscha oder Laos stammten, wuchsen zu 62% in „inner-city neighborhoods“ auf, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt. Für Mexikaner lag der Anteil bei 48%, für Vietnamesen bei 28%. Hingegen war der entsprechende Anteil für Kinder mit einem chinesischen oder philippinischen Hintergrund gering mit 4% und 2%.

Bei den Inhaftierungsraten gab es einen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern: 12% der Männer, aber nur 2% der Frauen hatten in einem Gefängnis gesessen. Mexikaner waren hierbei besonders stark beteiligt, etwa doppelt so häufig wie andere Gruppen mit 20% Inhaftierungen in der Stichprobe und 28% Verhaftungen. Vietnamesen folgten mit 17% Verhaftungen und 15% Inhaftierungen. Kambodschaner und Laoten wurden mit knapp 10% ebenfalls häufig verhaftet und inhaftiert. Wieder waren die Zahlen für die im Ausland Geborenen erheblich niedriger. Verhaftungen und Inhaftierungen zeigten einen starken linearen Zusammenhang mit Daten für Familienstruktur (alleinerziehende Eltern), akademische Leistung, Problemen in der Schule sowie mit physischer Bedrohung und dem Angebot von Drogen in der High School. Diejenigen, die angaben, physisch bedroht worden zu sein, mehr als zweimal in der Schule Drogen angeboten bekamen oder keinen Abschluß gemacht hatten, waren wesentlich häufiger verhaftet oder inhaftiert worden. Korrigiert man für die schulische Leistung, so verschwindet die hohe Rate von Verhaftungen und Inhaftierungen für Mexikaner. Nicht deren Herkunft, sondern deren Werdegang in der Schule hing mit ihrer Verbrechenskarriere zusammen.

Warum sind nun die Einwanderer in der ersten Generation so wenig kriminell, und das sogar trotz eines unterdurchschnittlichen Bildungsstandes und größerer Armut? Eine Erklärung könnte sein, daß sie sich härteren Strafen gegenübersehen als Einheimische, weil sie nicht nur eingesperrt, sondern zudem auch abgeschoben werden können. Allerdings wird das durch Studien von Kristin Butcher und Anne Morrison Piehl widerlegt. Vermutlich handelt es sich eher um einen Selektionseffekt, weil weniger kriminelle Menschen stärker zu einer Auswanderung neigen. Vorstellbar wäre ja, daß sich Verbrecher in den Ausgangsländern schon gut eingerichtet haben und von daher wenig Antrieb verspüren, ihr Geschäftsfeld in ein anderes Land zu verlegen. Umgekehrt weisen Auswanderer vermutlich Eigenschaften auf, die weniger zu Kriminalität passen, wie etwa eine langfristigere Orientierung. Solche Verzerrungen würden sich dabei sogar stärker unter relativ geschlossenen Grenzen auswirken, bei denen vor allem rechtschaffene Menschen von einer Einwanderung abgeschreckt werden.

Und warum steigen die Raten für die zweite und dritte Generation, die im Allgemeinen doch eigentlich bessere Voraussetzungen als ihre Eltern haben? Aus den Detaildaten ergibt sich hier zumindestens ein plausibles Bild: Einwanderer landen eher in armen Gegenden mit einer überdurchschnittlich kriminellen Kultur. Ihre Kinder passen sich dieser Kultur an, wenn auch unvollkommen. Hierbei spielen Schulen eine Rolle, wo entsprechende Verhaltensmuster vorgelebt werden und der Einstieg in ein kriminelles Milieu angebahnt wird. In den späteren Phasen wird dieser Ausbildungsgang dann in Gefängnissen weitergeführt. Die Kriminalisierung von Drogen und hohe Inhaftierungsraten befördern diese Entwicklung noch weiter.

Eine solche Erklärung paßt gut zu den verschiedenen Daten und widerspricht einer Sichtweise, als wenn Einwanderer inhärent schlechtere Leute als Einheimische wären. Im Gegenteil spricht sogar einiges dafür, daß sie eher rechtschaffener als die Inländer sind und ihre Kinder nur durch das Umfeld an ein bestimmtes Segment der amerikanischen Gesellschaft assimiliert werden. Für Gruppen wie die chinesisch- und philippinischstämmigen Einwanderer der zweiten und dritten Generation ergibt sich damit eine Annäherung von unten an die allgemeinen Raten in den USA, für andere an die in den extremeren Teilen der Gesellschaft.

Es ist von daher nicht einsichtig, wieso gerade geschlossene Grenzen zu einer Senkung der Kriminalität führen sollten, wenn es viel naheliegendere Gründe gibt, warum die Dinge im Argen liegen. Zu nennen wären die Drogenpolitik, die ein Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramm für Verbrecher darstellt, oder verwahrloste Schulen in „inner city neighborhoods“, in denen Kinder an ein kriminelles Milieu herangeführt werden. Bei offenen Grenzen wären durchaus sogar gegenläufige Effekte zu erwarten: Umso weniger rechtschaffende Einwanderer abgeschreckt werden, desto stärker sollte der Effekt durch ihre geringere Kriminalität ausfallen und die Kriminalität im Inland reduziert werden. Gegenläufige Effekte in der zweiten und dritten Generation, so man die eigentlichen Ursachen nicht angehen will, würden bei stetem Nachzug von weiteren Einwanderern durch deren weniger kriminelles Verhalten ausgeglichen und nicht verstärkt werden.

Das wird auch etwa in Arbeiten des Soziologen Robert J. Sampson belegt, die anhand von Daten aus Chicago zu der Schlußfolgerung kommen, daß vermehrte Einwanderung ein wesentlicher Faktor für niedrigere Verbrechensraten sein kann. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten auch Matthew Lee und Ramiro Martínez für Städte an der Grenze mit Mexiko mit starker Einwanderung oder für die Drogenkriminalität in Miami und San Diego. Und das ist alles gar nicht mal neu. Als 1901, 1911 und 1931 bei ähnlichen Befürchtungen staatliche Kommissionen sich der Daten zur Kriminalität annahmen, fanden sie zu ihrer Verblüffung ganz ähnliche Ergebnisse: Die im Ausland Geborenen waren auch damals weniger kriminell als die im Inland Geborenen. Ein markanter Anstieg in der zweiten und dritten Generation wurde bei diesen Untersuchungen ebenso wie heute festgestellt.

Um es zusammenzufassen: Die Vorstellung, daß mit den Einwanderern die Verbrechen kommen, hat keine Entsprechung in der Wirklichkeit. Die Verbrecher werden im Inland gemacht. Daran ändert auch nichts, daß man insbesondere illegale Einwanderer als geborene Verbrecher hinstellt, weil sie gewisse Gesetze gebrochen haben, die ihnen ihr Recht auf Freizügigkeit ungerechterweise verlegen. Noch absurder ist die Verquickung der Frage mit dem Kampf gegen den Terrorismus, was seit den Anschlägen des 11. Septembers sehr populär geworden ist. Ob es überhaupt irgendwelche mexikanischen Anhänger von Bin Laden jemals gab, darf man durchaus bezweifeln. Hier die Grenzen mit riesigem Aufwand und einer solchen Begründung gegen illegale Einwanderer zu schließen, entbehrt jeder rationalen Grundlage. Die Attentäter des 11. September kamen legal als Touristen und nicht illegal als Einwanderer in die USA.

Wer sich also Sorgen um die Verbrechensraten macht, der sollte sich zum einen an die eigene Nase fassen. Wenn sich die Kinder von Einwanderern an extreme Segmente der Gesellschaft assimilieren, könnte man genau hier ansetzen, um gegenzusteuern. Wenn man mit einem „Krieg gegen die Drogen“, verwahrlosten Schulen in “inner city neighborhoods” und hohen Inhaftierungsraten geradezu das Verbrechen züchtet, sollte man nicht auf Einwanderern herumhacken. Und wenn man es ernst meint, mit einer Reduzierung der Kriminalität, dann wäre die vernünftige Konsequenz mehr und nicht weniger Einwanderung zu befürworten. Aber das geht natürlich alles gegen die Intuition von den bösen Menschen, die uns mit ihren Verbrechen überziehen, und ist wohl oft zu viel verlangt an innerer Stimmigkeit und Respekt vor den Fakten, wenn jemand nach Gründen angelt, um die vorgefaßte Meinung zu stützen, daß die Grenzen dichtgemacht werden müssen.

Sollte Amerika seine Grenzen öffnen?

Unter diesem Titel fand am 22. April 2014 eine Debatte statt, die von der Reason Foundation veranstaltet wurde. Die Teilnehmer waren dabei Bryan Caplan, Professor an der George Mason Universität und Blogger bei EconLog, Mark Krikorian vom Center for Immigration Studies, einem restriktionistischen Thinktank, sowie Alex Nowrasteh vom Cato Institute. Moderation: Tom Clougherty, Reason Foundation.

Die Eröffnungsstatements sind nun auf YouTube bei ReasonTV eingestellt worden. Hier entwickelt sich eher wenig an Debatte, weil jeder seinen Punkt für sich entwickelt. Mit zweien auf der Ja-Seite (Caplan und Nowrasteh) und nur einem auf der Nein-Seite (Krikorian) sowie einem wohl eher für offene Grenzen wohlwollenden Publikum und Moderator sind die Karten etwas ungleich gemischt.

Wie Bryan Caplan im Nachgang anerkannte, macht Mark Krikorian rhetorisch seine Sache recht gut, auch wenn er den Argumenten von Caplan und Nowrasteh nur wenig entgegensetzt. Vielmehr spielt er seine Bodenständigkeit aus, um die anderen beiden als weltferne Theoretiker dastehen zu lassen. Er hat sich auch recht gut vorbereitet. Abgesehen davon kommen allerdings nur mehr zwischen den Zeilen Behauptungen, jedoch kein frontaler Angriff. Wie Bryan Caplan urteilt, argumentiert er wie ein Anwalt:

Lawyers’ classic strategy is, “When the facts are against you, argue the law.  When the law is against you, argue the facts.  When the facts and the law are against you, change the subject.”  Mark argues like a lawyer. 

Allerdings läuft damit Bryan Caplan auch mit seinem Versuch etwas ins Leere, die Beweislast Krikorian zuzuschieben.

Das einzig markante Argument von Krikorian ist vielleicht, daß gewisse Städte mit vielen Einwanderern, wie New York und San Francisco, in den USA als weit links gelten und die Vertreter von Immigrantengruppen eine solche politische Ausrichtung unterstützen. Hieraus schließt er, daß mehr Einwanderer zu einer Ausweitung des Wohlfahrtsstaates führen würden. Alex Nowrasteh kann dann allerdings recht gut mit dem Hinweis parieren, daß der Wohlfahrtsstaat in den USA gerade in Phasen von geringer Einwanderung gewachsen ist: in den 1930ern bei Roosevelts „New Deal“ und in den 1960ern bei Johnsons „Great Society“.

Der Abtausch zeigt bis zu einem gewissen Grad, wie schwer es ist, den Fall für offene Grenzen zu vermitteln. Mark Krikorian kann sich zurücklehnen, weil für ihn eine Vielzahl an Argumenten bereits vorgebahnt sind. Er muß sie gar nicht mehr begründen, sondern nur andeuten. Seine Kontrahenten finden sich damit in der Lage, eines nach dem anderen widerlegen zu müssen. Ein skeptischer Betrachter, dem die Argumente von Krikorian geläufig sind, wird dabei vielleicht das eine oder andere Gegenargument anerkennen, sich jedoch schwertun, alle seine vorgefaßten Meinungen auf einmal über Bord zu werfen.

[Diese Besprechung ist zuerst auf dem Blog “Freisinnige Zeitung” erschienen.”]

Haben offene Grenzen die Weltgeschichte verändert?

Spielen wir einmal ein alternatives Szenario durch: Angenommen, jegliche Einwanderung von Deutschen nach Amerika wäre von Anfang an unterbunden worden. Grenzschützer hätten dafür eine Menge an Argumenten auf ihrer Seite gehabt: Deutschland war eine Brutstätte für allerlei kollektivistische Ideologien, die der amerikanischen Freiheit feindselig gesonnen waren: rabiater Nationalismus, Antisemitismus, Kommunismus und Nationalsozialismus. Der IQ von deutschstämmigen Amerikanern ist bestenfalls durchschnittlich. Deutsche Einwanderer paßten sich nur langsam an und hielten an der deutschen Sprache fest. Und dann natürlich absonderliche Verhaltensweisen, etwa daß Minderjährige Bier trinken dürfen. Usw. Gehen wir nun ins Jahr 1940 zurück.

Die USA hatten damals eine Bevölkerung von 132 Millionen, Deutschland inklusive Österreich eine von 79 Millionen. Die amerikanische Bevölkerung war also 67% größer als die “Großdeutschlands”.

Heutzutage geben 17% der Amerikaner an, aus Deutschland zu stammen, wobei man sich wohl meist am Namen orientiert, der auch aus Österreich kommen könnte. Da es nur eine geringe Einwanderung aus Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg im Vergleich mit anderen Gruppen gab, sollte der Anteil 1940 eher höher gewesen sein. Nehmen wir also an, daß ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung 1940 deutschstämmig war. Im alternativen Szenario würde die amerikanische Bevölkerung um 33 Millionen kleiner ausfallen, also nur noch 99 Millionen betragen. Fügen wir die 33 Millionen der deutschen Bevölkerung hinzu, so erhält man hingegen 112 Millionen. “Großdeutschland” hätte damit eine um 12% größere Bevölkerung als die USA gehabt. Das entspricht dem Eintritt einer  Großmacht von 66 Millionen in den Krieg auf der Seite der Achsenmächte.

Schlimmer: die drei Oberbefehlhaber der amerikanischen Teilstreitkräfte waren alle deutschstämmig. Natürlich nicht nur, sodaß es sie im alternativen Szenario vermutlich nicht gegeben hätte. Wenn doch, dann wäre General Eisenhower vielleicht eher Generalfeldmarschall Eisenhauer in der deutschen Armee gewesen. Genauso Chester Nimitz, nun als Generaladmiral Nimitz für die Marine, und Carl Andrew Spaatz für die Luftwaffe (als Generalfeldmarschall Karl Andreas Spatz, das zweite ‘a’ nahm er an, um die richtige Aussprache für Amerikaner klarzumachen, was in Deutschland unnötig gewesen wäre). Und mehr als eine Fußnote: William Patrick Hitler, der Halbneffe des Führers, hätte wohl auch kein Purple Heart für seinen Dienst in der amerikanischen Marine erhalten.

Es lohnt nicht, das alternative Szenario weiterzuspinnen und zu behaupten, die Achsenmächte hätten nun den Krieg gewonnen. Aber auch das Gegenteil zu argumentieren, scheint nicht ganz einfach zu sein. In einer Welt mit fest verschlossenen Grenzen für Bürger Deutschlands, Italiens und Japans müßte man auch noch Millionen deutscher Auswanderer und ihre Nachkommen aus dem britischen Weltreich, etwa Kanada, Australien und Neuseeland, zurückschicken. Und dasselbe für den nicht unbeträchtlichen Anteil italienischstämmiger Amerikaner.

Wie gut haben sich denn die grenzschützerischen Vorhersagen in der Wirklichkeit geschlagen? Eine fünfte Kolonne ins Land zu lassen, könnte ja desaströse Konsequenzen haben. Totales Ri-si-ko für die USA?

Nicht wirklich. Vorfälle von Verrat und Illoyalität waren eine verschwindene Ausnahme und die “Weihnachtserklärung der Männer und Frauen deutscher Abstammung” weitaus repräsentativer:

“[W]ir Amerikaner deutscher Abstammung erheben unsere Stimme und verurteilen die Politik Hitlers, kaltblütig die Juden Europas auszurotten, und gegen die barbarischen Taten der Nazis, die gegen unschuldige Völker unter ihrer Herrschaft begangen werden. Diese Greuel … sind besonders für jene wie uns eine Herausforderung, die wir selbst Nachkommen eines Deutschlands sind, das einst in der ersten Reihe der Zivilisation stand … [W]ir verwerfen jeden Gedanken und jede Tat Hitlers und seiner Nazis … [und rufen Deutschland auf,] ein Regime zu stürzen, das die Schande der deutschen Geschichte ist.”

Moral: Man kann auf Einwanderer als Menschen schauen, die vielleicht eine gewisse Loyalität ihrem alten Land und seiner Kultur gegenüber behalten. Wenn diese Kultur durch und durch kollektivistisch ist, wie es für Deutschland 1940 der Fall war, sieht das nicht gut aus. Die Anpassung mag langsam und unvollständig sein.

Doch das heißt, sich die Sache nur aus der begrenzten Perspektive eines einzelnen Landes anzuschauen. Sieht man sie sich auf globalem Niveau an, ist das Ergebnis anders. Sogar unvollständige Anpassung bedeutet, daß mehr Menschen weniger an ihren vorherigen Ansichten hängen, und es einige (und im Fall der deutschstämmigen Amerikaner sogar viele) gibt, auf die der Kollektivismus keinen Zugriff mehr hat. Offene Grenzen unterminieren den Kollektivismus.

Ist man also besorgt um die Freiheit der Welt auf lange Sicht, dann sollte man so viele Menschen wie möglich haben wollen, die nicht in kollektivistischen Gesellschaften festsitzen und durch totalitäre Staaten indoktriniert werden können, und so viele wie möglich, die der Freiheit ausgesetzt sind und eine Chance haben, ihre Meinungen in einer offenen Gesellschaft zu ändern.

Die Welt hat Glück gehabt, daß Freiheit und offene Grenzen für eine lange Zeit zusammengingen.

[Dies ist eine frei übersetzte und überarbeitete Version eines Artikels, der zuerst auf dem Blog Open Borders und dann dem Blog Freisinnige Zeitung erschienen ist.]

Wirtschaftsflüchtlinge 1881

1881 erreicht die Auswanderung aus Deutschland einen Höchststand mit 220.902 Emigranten. Eines der Schiffe auf der Route nach Amerika ist der Dampfer “Vandalia”. Am 19. Juni 1881 verläßt er Hamburg mit 1000 hauptsächlich deutschen Auswandern an Bord: Kurs New York.

Wie die neuseeländische Evening Post am 24. September 1881 berichtet, geschieht dann das folgende:

Drei Tage nach Ablegen versagt der Antrieb und die “Vandalia” treibt hilflos auf dem Meer westlich der Isle of Lewis umher. Da es keine Nachrichten gibt, wird befürchtet, daß das Schiff gesunken sein könnte. Doch dann wird die “Vandalia” von einem schwedischen Schiff entdeckt, das Hilfe holt. Die Versuche eines weiteren russischen Schiffs, die “Vandalia” in Sicherheit zu bringen, scheitern jedoch.

Als der Postdampfer “Express” den Dampfer wiederfindet, brechen die Passagiere in Jubel aus. Zusammen mit der größeren “Conqueror” wird die “Vandalia” am 7. Juli in Schlepptau genommen und nach Stornoway gebracht. Da es dort keinen sicheren Platz gibt, geht es weiter nach Greenock, wo man am 9. Juli 1881 anlangt. Den Passagieren wird angeboten, auf ein anderes Schiff umzusteigen. Sie bleiben aber der “Vandalia” treu und fahren mit ihr weiter nach New York.

File:Berliner Wespen.png

Das Satireblatt “Berliner Wespen” bedankt sich — ausnahmsweise ernst gestimmt — für die Rettung am 13. Juli 1881 mit einem Gedicht:

 

“Vandalia” und “Conqueror”

“Vandalia”, die wir glaubten schon verloren
Im Kampfe mit dem zornentbrannten Meer,
Sei uns gegrüßt, die Du wie neugeboren
Gerettet in den Hafen kommst daher.

Und lauter Jubel dringt zu unsern Ohren —
An die wir dachten schon so sorgenschwer,
Sie kehren heim, kein Einz’ger ist verloren.
O doppelt freudenvolle Wiederkehr!

Du aber, “Conqueror”, der Du als Retter
Erschienst, ein treuer Bote güt’ger Götter,
Und von uns nahmst der Sorge schwere Last.

Du bist Erob’rer, nicht nur wirst Du tragen
Den Namen, nein, Du bist’s nach kühnem Wagen
Da Du erobert uns’re Herzen hast!

[Dies ist ein leicht überarbeiteter Artikel, der zuerst auf dem Blog “Freisinnige Zeitung” am 12. Juli 2012 erschienen ist.]