Spielen wir einmal ein alternatives Szenario durch: Angenommen, jegliche Einwanderung von Deutschen nach Amerika wäre von Anfang an unterbunden worden. Grenzschützer hätten dafür eine Menge an Argumenten auf ihrer Seite gehabt: Deutschland war eine Brutstätte für allerlei kollektivistische Ideologien, die der amerikanischen Freiheit feindselig gesonnen waren: rabiater Nationalismus, Antisemitismus, Kommunismus und Nationalsozialismus. Der IQ von deutschstämmigen Amerikanern ist bestenfalls durchschnittlich. Deutsche Einwanderer paßten sich nur langsam an und hielten an der deutschen Sprache fest. Und dann natürlich absonderliche Verhaltensweisen, etwa daß Minderjährige Bier trinken dürfen. Usw. Gehen wir nun ins Jahr 1940 zurück.
Die USA hatten damals eine Bevölkerung von 132 Millionen, Deutschland inklusive Österreich eine von 79 Millionen. Die amerikanische Bevölkerung war also 67% größer als die “Großdeutschlands”.
Heutzutage geben 17% der Amerikaner an, aus Deutschland zu stammen, wobei man sich wohl meist am Namen orientiert, der auch aus Österreich kommen könnte. Da es nur eine geringe Einwanderung aus Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg im Vergleich mit anderen Gruppen gab, sollte der Anteil 1940 eher höher gewesen sein. Nehmen wir also an, daß ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung 1940 deutschstämmig war. Im alternativen Szenario würde die amerikanische Bevölkerung um 33 Millionen kleiner ausfallen, also nur noch 99 Millionen betragen. Fügen wir die 33 Millionen der deutschen Bevölkerung hinzu, so erhält man hingegen 112 Millionen. “Großdeutschland” hätte damit eine um 12% größere Bevölkerung als die USA gehabt. Das entspricht dem Eintritt einer Großmacht von 66 Millionen in den Krieg auf der Seite der Achsenmächte.
Schlimmer: die drei Oberbefehlhaber der amerikanischen Teilstreitkräfte waren alle deutschstämmig. Natürlich nicht nur, sodaß es sie im alternativen Szenario vermutlich nicht gegeben hätte. Wenn doch, dann wäre General Eisenhower vielleicht eher Generalfeldmarschall Eisenhauer in der deutschen Armee gewesen. Genauso Chester Nimitz, nun als Generaladmiral Nimitz für die Marine, und Carl Andrew Spaatz für die Luftwaffe (als Generalfeldmarschall Karl Andreas Spatz, das zweite ‘a’ nahm er an, um die richtige Aussprache für Amerikaner klarzumachen, was in Deutschland unnötig gewesen wäre). Und mehr als eine Fußnote: William Patrick Hitler, der Halbneffe des Führers, hätte wohl auch kein Purple Heart für seinen Dienst in der amerikanischen Marine erhalten.
Es lohnt nicht, das alternative Szenario weiterzuspinnen und zu behaupten, die Achsenmächte hätten nun den Krieg gewonnen. Aber auch das Gegenteil zu argumentieren, scheint nicht ganz einfach zu sein. In einer Welt mit fest verschlossenen Grenzen für Bürger Deutschlands, Italiens und Japans müßte man auch noch Millionen deutscher Auswanderer und ihre Nachkommen aus dem britischen Weltreich, etwa Kanada, Australien und Neuseeland, zurückschicken. Und dasselbe für den nicht unbeträchtlichen Anteil italienischstämmiger Amerikaner.
Wie gut haben sich denn die grenzschützerischen Vorhersagen in der Wirklichkeit geschlagen? Eine fünfte Kolonne ins Land zu lassen, könnte ja desaströse Konsequenzen haben. Totales Ri-si-ko für die USA?
Nicht wirklich. Vorfälle von Verrat und Illoyalität waren eine verschwindene Ausnahme und die “Weihnachtserklärung der Männer und Frauen deutscher Abstammung” weitaus repräsentativer:
“[W]ir Amerikaner deutscher Abstammung erheben unsere Stimme und verurteilen die Politik Hitlers, kaltblütig die Juden Europas auszurotten, und gegen die barbarischen Taten der Nazis, die gegen unschuldige Völker unter ihrer Herrschaft begangen werden. Diese Greuel … sind besonders für jene wie uns eine Herausforderung, die wir selbst Nachkommen eines Deutschlands sind, das einst in der ersten Reihe der Zivilisation stand … [W]ir verwerfen jeden Gedanken und jede Tat Hitlers und seiner Nazis … [und rufen Deutschland auf,] ein Regime zu stürzen, das die Schande der deutschen Geschichte ist.”
Moral: Man kann auf Einwanderer als Menschen schauen, die vielleicht eine gewisse Loyalität ihrem alten Land und seiner Kultur gegenüber behalten. Wenn diese Kultur durch und durch kollektivistisch ist, wie es für Deutschland 1940 der Fall war, sieht das nicht gut aus. Die Anpassung mag langsam und unvollständig sein.
Doch das heißt, sich die Sache nur aus der begrenzten Perspektive eines einzelnen Landes anzuschauen. Sieht man sie sich auf globalem Niveau an, ist das Ergebnis anders. Sogar unvollständige Anpassung bedeutet, daß mehr Menschen weniger an ihren vorherigen Ansichten hängen, und es einige (und im Fall der deutschstämmigen Amerikaner sogar viele) gibt, auf die der Kollektivismus keinen Zugriff mehr hat. Offene Grenzen unterminieren den Kollektivismus.
Ist man also besorgt um die Freiheit der Welt auf lange Sicht, dann sollte man so viele Menschen wie möglich haben wollen, die nicht in kollektivistischen Gesellschaften festsitzen und durch totalitäre Staaten indoktriniert werden können, und so viele wie möglich, die der Freiheit ausgesetzt sind und eine Chance haben, ihre Meinungen in einer offenen Gesellschaft zu ändern.
Die Welt hat Glück gehabt, daß Freiheit und offene Grenzen für eine lange Zeit zusammengingen.
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[Dies ist eine frei übersetzte und überarbeitete Version eines Artikels, der zuerst auf dem Blog Open Borders und dann dem Blog Freisinnige Zeitung erschienen ist.]