Schrumpfen des Wohlfahrtsstaates

Siehe auch: Einwände wegen Wohlfahrtsstaat und Steuerlast, Ausweitung des Wohlfahrtsstaats und politische Externalitäten.

Die Sorge, daß er Wohlfahrtsstaat schrumpfen könnte, wird von manchen geäußert, besonders von denjenigen, die die bisherigen Leistungen eines Wohlfahrtsstaats unterstützen oder diese erweitern möchten. Die Sorge dreht sich darum, wie eine liberale Einwanderungspolitik die Machbarkeit und die Unterstützung durch die Öffentlichkeit für erweiterte Leistungen des Wohlfahrtsstaats unterminieren würde. Zwei Wege werden behauptet, wie die Verbindung zustande kommen könnte:

  • Einwanderung verändert die Bandbreite an umsetzbaren Maßnahmen des Wohlfahrtsstaats, indem sie auf die Kosten wirkt. Wenn Wanderung den Anteil von Menschen erhöht, die einen Anspruch auf Sozialleistungen hätten, macht das die Politik teurer und dadurch weniger umsetzbar.
  • Einwanderung verändert das Ausmaß der Unterstützung durch die Einheimischen für den Wohlfahrtsstaat, wohl weil die Einheimischen keine Wohlfahrtsleistungen einführen wollen, deren vorrangige Nutznießer die Einwanderer sind. Dies kann daran liegen, daß Einheimische ein geringeres Niveau an Solidarität mit den Einwanderern (angesehen als Außengruppe) haben im Vergleich mit anderen Einheimischen. Zu beachten ist dabei, daß es schwierig sein kann, diesen Punkt vom vorherigen bei praktischen Beispielen zu trennen.

Wie mehr Einwanderung von Menschen, denen Sozialleistungen zustehen, die Kosten für den Staatshaushalt erhöht und die Leistungen fiskalisch weniger attraktiv und umsetzbar macht

Das grundsätzliche Argument ist einfach, aber es gibt einige Vorbehalte, die sich aus der Spannung ergeben, daß man einerseits Sozialleistungen haben möchte und man andererseits enttäuscht ist, daß mehr Menschen sie in Anspruch nehmen.

  • Eine offensichtliche Keyhole Solution für das Problem, daß Einwanderer die Klasse der Anspruchsberechtigten für eine bestimmte Sozialleistung vergrößern, ist es, ihnen die Leistung zu verweigern (vielleicht für ein paar Jahre nach Einwanderung). Das geschieht bereits in vielen Zuständigkeitsbereichen bei einigen Sozialleistungen. In dem Maße, wie die Abschottung oder weitere Beschneidung von Leistungen als schlimmer angesehen wird, als Einwanderung zu liberalisieren, stellt sich die Frage nach der Begründung. Die Antwort beruht auf einer gewissen Mischung von Citizenismus, Territoralismus oder der Abneigung gegen lokale Ungleichheit.
  • Es gibt das Argument, daß manche Formen von staatlichen Subventionen (wie etwas subventionierte oder kostenlose Krankenversorgung oder Bildung) besser als Investition als als Sozialleistung angesehen werden sollten.  Das Argument wird am häufigsten für Bildung gemacht: Bildung ist eine Investition in die Zukunft des Landes und sollte als solche betrachtet werden. Wenn man dieser Ansicht ist, dann sollte eine größere Anzahl von Menschen kein Problem sein, die einen Anspruch auf kostenlose Bildung haben — es bedeutet nur, daß es mehr gibt, ob die Einwanderer die Investition weniger wahrscheinlich zurückzahlen werden. (Im Fall von Bildung würde das entweder bedeuten, daß die Einwanderer wahrscheinlicher wieder wegziehen würden und von daher eine Investition in Bildung mit einer geringeren Rendite wären, oder daß sie aus irgendwelchen Gründen weniger wahrscheinlich die sozialen Gewinne auf Bildung erzeugen als Einheimische.)

Wie die Unterstützung für eine Sozialleistung durch die Einheimischen wegen der Wahrnehmung sinken kann, daß Einwanderer überproportional Gebrauch davon machen

Menschen, die eine bestimmte Sozialleistung unterstützen, könnten sich vielleicht Sorgen machen, daß andere Einheimische (die staatliche Entscheidungen beeinflussen durch ihr Wahlverhalten oder für gewählte Vertreter) sich möglicherweise dafür entscheiden könnten, die bestimmte Sozialleistung nicht weiter zu unterstützen, wenn sie glauben (berechtigt oder nicht), daß die Leistung überproportional an Einwanderer gehen wird, weil Einheimische Einwanderer als eine Außengruppe ansehen, für die sie weniger Solidarität als für andere Einheinische empfinden. Der am häufigsten dazu zitierte akademische Artikel für diese Ansicht ist: Alesina, Glaeser, and Sacerdote (2001).

Diskussion in Blogposts und Kommentaren

Vorsicht: die folgenden Links stammen von einer älteren Version der Seite, die noch überarbeitet werden müßte.

  • Immigration and the Welfare State von Bryan Caplan. Er schreibt über das Schrumpfen des Wohlfahrtsstaates aufgrund von Einwanderung:

    Wenn man ein Linker pro Einwanderung ist, werden einen diese Resultate wahrscheinlich mit Betroffenheit erfüllen: Es klingt sicherlich so, als wenn geringqualifizierte Einwanderung die Unterstützung des Wohlfahrtsstaats durch die Mittelklasse unterminieren würde. Wenn man allerdings wie ich Einwanderung liebt und den Wohlfahrtsstaat haßt, dann ist das eine gute Nachricht. Man könnte vielleicht zurückzucken: “Das ist eine gute Nachricht, daß Freiheit von Bigotterie abhängt?!” Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen “weniger Solidarität” und “Bigotterie”. Und Solidarität ist auch eine sehr gemischte Sache. Trotz ihres oberflächlichen Reizes ist Solidarität der Hauptgrund für selbstgerechte Ungerechtigkeit gegen Außengruppen und Neinsager. Es wäre eine bessere Welt, wenn wir bloß zugeben würden, daß unsere “Mitbürger” nicht unsere Brüder und Schwestern sind, sondern Fremde.

  • Liberals Need to Choose: Welfare State or Immigration, eine Kolumne für die Huffington Post von Alex Nowrasteh. Er argumentiert, daß die Unterstützer eines Wohlfahrtsstaats abwägen sollten zwischen den Sozialleistungen für Einwanderer und dem Hereinlassen von mehr Einwanderern. Mit anderen Worten ist seine Keyhole Solution, die Mauer um den Wohlfahrtsstaat zu verstärken, um Einwanderer daran zu hindern, diesen in Anspruch zu nehmen:

    Das ergibt auch eine einfache Lösung für die Blockade bei Einwanderung: eine Mauer um den Wohlfahrtsstaat bauen. Einen Schritt vor dem vorzuziehenden Ziel, den amerikanischen Wohlfahrtsstaat zu beseitigen, wäre es, seine weitere Inanspruchnahme durch Einwanderer zu beschränken, sie länger warten zu lassen, bevor sie Ansprüche stellen können, oder sicherstellen, daß Einwanderer eine gewisse Summe an Steuern bezahlen, bevor sie dies tun. Dies würde weit in die Richtung gehen, die Amerikaner davon zu überzeugen, daß Einwanderung ihnen ebenso wie den Einwanderern nützt. Liberale im amerikanischen Sinne, die tatsächlich sich um Einwanderung sorgen, sollten den Wohlfahrtsstaat opfern oder wenigstens den Zugang zu ihm durch Einwanderer als Preis dafür, mehr Einwanderung zuzulassen. Das geht weit in die Richtung, die amerikanischen Wähler zu überzeugen, mehr legale Einwanderung zuzulassen. Politisch ist unser Wohlfahrtsstaat nicht verträglich mit erweiterter legaler Einwanderung. Der Wohlfahrtsstaat soll die Armut verringern, aber schafft dies all zu oft nicht. Der durchschnittliche Einwanderer kann eine Steigerung seines oder ihres Lohnes um das Fünffache erwarten nur durch Umzug nach hier. Wenn Liberale im amerikanischen Sinne sich wegen Armut Sorgen machen und nicht nur wegen relativer “Armut”, die in Amerika vorkommt, dann sollte sie sich klarwerden, daß freie Einwanderung das beste Werkzeug gegen Armut für die Armen der Welt ist.

  • Immigration and the Welfare State von Ilya Somin, 12. Juni 2011, für den Blog der Volokh Conspiracy. Somin bringts Punkte, die sehr ähnlich zu denen von Caplan und Nowrasteh sind. Somin:

    Ich zitiere einige relevante Studien in einem unlängst erschienenen Artikel für das International Affairs Forum on Immigration (Seite 43). Die Forschung zeigt, daß dieser Effekt sogar für ein sehr linkes Land wie Schweden zutrifft. Dieses Buch  der Politikwissenschaftler Donald Kinder und Cindy Kam bietet weitere Belege für die Vereinigten Staaten (und zu einem geringeren Ausmaß für mehrere europäische Länder). Historisch ist die größere ethnische Diversität der USA einer der Hauptgründe gewesen, warum wir einen kleineren Wohlfahrtsstaat haben als die meisten europäischen Nationen. Die Belege zu diesem Punkt sind in einer wohlbekannten Studie von Edward Glaeser und Alberto Alesina zusammengestellt. Da Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit Sozialprogramme unterstützen, wenn das Geld an Empfänger geht, die “wie wir” sind, unterminiert Einwanderung den Wohlfahrtstaat eher, als daß sie ihn verstärkt. Selbst wenn die neuen Einwanderer für eine Erweiterung der Sozialleistungen stimmen (was  bei weitem nicht immer der Fall ist), wird ihr politischer Einfluß wahrscheinlich durch die im Inland geborene Bürger konterkariert, die im Allgemeinen reicher und zahlreicher sind sowie häufiger zur Wahl gehen und auf andere Weise an Politik teilnehmen. Dieser Rückkoppelungseffekt schafft ein schwieriges Dilemma für Liberale im amerikanischen Sinne und Linke, die Einwanderung unterstützen, aber auch den Wohlfahrtsstaat ausbauen möchten. Paul Krugman nennt die Abwägung zwischen Wohlfahrtsstaat und Einwanderung eine “quälende Frage” für liberale Demokraten. Doch für Libertäre und andere Unterstützer von wirtschaftlicher Freiheit ist Einwanderung ein Spiel, bei dem alle Seiten gewinnen. Sie ist sowohl eine wichtige Anwendung von wirtschaftlicher Freiheit für sich genommen als auch hat sie den sekundären Effekt, den Wohlfahrtsstaat im Zaum zu halten. Es mag beklagenswert sein, daß Einwanderung es aus ethnischer Voreingenommenheit nicht schafft, den Wohlfahrtsstaat zu erweitern. Mir wäre liber, wenn die Wähler bewundernswertere Motive hätten. Doch sehen wir uns in der Politik oft Abwägungen gegenüber, wo es besser ist, die richtige Sache aus dem falschen Grund zu machen, als gar nichts zu tun. Außerdem ist es nicht bigotter, gegen Sozialleistungen zu sein, weil sie an Mitglieder einer anderen ethnischen Gruppe gehen, als sie zu unterstützen, weil sie an die Mitglieder der eigenen Gruppe gehen. Beispielsweise finden Kinder und Kam, daß stark “ethnozentrische” weiße Wähler mit höherer Wahrscheinlichkeit Leistungen des Rentensystems Social Security unterstützen als andere Weiße, weil sie es in erster Linie als ein Programm zugunsten von nichthispanischen Weißen wie ihnen selber ansehen. In relativ homogenen Staaten neigen Wähler dazu, höhere Niveaus an Sozialleistungen zu unterstützen, als sie andernfalls tun würden, weil sie sie als Unterstützung für Mitglieder ihrer eigenen ethnischen oder rassischen Gruppe ansehen. In diverseren Gesellschaften unerstützt die Öffentlichkeit niedrigere Leistungen wegen der Wahrnehmung, daß zu viel Geld an rassisch oder ethnisch “andere” geht. Die erstere Einstellung ist nicht weniger tendenziös als die letztere. Schließlich ist es wert zu vermerken, daß wir, wie Bryan Caplan betont, zwischen einer Begrenzung von Enwanderung und einer pauschalen Beschneidung von Sozialleistung wählen müssen. Wir können stattdessen solche Leistungen selektiv für neue Einwanderer verweigern und/oder von ihnen verlangen, daß sie besondere Steuern zahlen, um jede Belastung des Staatshaushalts auszugleichen, die sie den Einheimischen auferlegen. Konservative Kritiker von Einwanderung, die diese Alternativen anerkennen, befürchten, daß sie politisch nicht machbei sein werden. Doch der oben diskutierte Rückkopplungseffekt impliziert, daß die politischen Aussichten ziemlich gut sind. Die meisten Wähler freuen sich ziemlich, eine Beschneidung von Sozialleistungen für neue Eiwanderer zu unterstützen oder die letzteren “für sich selbst zahlen zu lassen”. Das war der Grund, warum die eumfangreichen Restriktionen für Sozialleistungen an Einwanderer im Wohlfahrtsreformgesetz von 1996  sehr populär waren, genauso wie ähnliche Maßnahmen, die in verschiedenen europäischen Ländern vorgeschlagen worden sind.

  • Libertarians and the Welfare State: Is It Time to Drop the Hard Line? von Bryan Caplan, wo er Bleeding-Heart-Libertären entgegentritt mit dem Argument, daß die Unterstützung für den Wohlfahrtsstaat ein Hindernis für größere Freizügigkeit ist und daß Libertäre, die sich Sorgen um die Armen machen, deshalb gegen den Wohlfahrtsstaat sein sollten.
  • Welfare and Immigration: The Flip Side of the Argument von David Friedman.
  • Immigrant benefit claims are an argument against the welfare state, not an argument against immigration auf dem Blog des Adam Smith Institute.
  • Dan Klein to Paul Krugman: You Can Do Better, ein Blogpost von Bryan Caplan, der den Widerspruch festhält zwischen dem Image von Krugman als für Arme eingestellt und seiner Sorge,daß Einwanderung den Wohlfahrtsstaat unterminieren würde.

Bemerkung: Es sind gewisse empirische Einwände gegen das empirische Argument zum “Schrumpfen des Wohlfahrtsstaats” vorgebracht worden. Diese können unten auf der Seite zu den politischen Externalitäten gefunden werden.

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